Camille Saint-Saëns
Danse Macabre op. 40
für Orgel bearbeitet von Edwin H. Lemare
Die Orgel-Bearbeitungen von Werken anderer Komponisten aus der Feder des Pariser Kathedralorganisten Louis Vierne beginnen mit Johann Sebastian Bachs „Sicilienne“ (aus der Sonate für Flöte und Cembalo Es-Dur BWV 1031, deren Autorschaft mittlerweile eher Carl Philipp Emanuel Bach zugeschrieben wird). Dieses wunderbare, berührende Stück wurde auch von Viernes Lehrer Charles-Marie Widor in seinem Spätwerk Bach’s Memento bearbeitet. Viernes Version ist näher am Original und ohne weitere Zutaten als Triosatz verfasst. Die folgenden fünf liebreizenden Andante-Sätze komponierte César Franck 1864 für Harmonium; sie sind in Viernes fantasievoller Orgelbearbeitung samt genauen Manual- und Registrierungsangaben optimal auf der Orgel zum Klingen zu bringen. Sergej Rachmaninovs Prélude cis-Moll op. 3/2 war und ist eines der meistgespielten Zugabestücke auf dem Klavier, und Viernes Bearbeitung macht das auf einer symphonischen Orgel nicht weniger wirkungsvolle Werk für uns Organisten zugänglich.
Als Bearbeiter legt Otto Depenheuer hier eine Orgelbearbeitung der äußerst reizvollen Trois Mouvements pour Flûte et Piano von Jehan Alain aus den Jahren 1934/35 vor. Die drei Stücke in Marie-Claire Alains Version für Flöte und Orgel sind ein wichtiger Meilenstein in der Originalliteratur in dieser Besetzung aus dem 20. Jahrhundert. Im ersten Satz „Andante“ vertritt die Flûte harmonique die Soloflöte und wird durch die weichen Klänge der Voix céleste begleitet. Im darauffolgenden „Allegretto con Grazia“ ist der Dialog zwischen Flöte und Orgel nicht wie im Original konsequent umgesetzt worden; dies war wohl nicht die Intention des Bearbeiters, der hier lieber auf die Fortführung längerer Linien gesetzt hat. Ein „Allegro vivace“ als Perpetuum mobile beschließt diese unbedingt spielfreudige Trilogie.
Édouard Batiste (1820–76) und seine Orgelmusik sind heutzutage wenig bekannt, obwohl er im Pariser Musikleben des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielte. Der Rompreisträger war viele Jahre Professor für Chorgesang und Solfège, ferner Organist an St-Nicolas-des-Champs im Zentrum von Paris und 1854 an der großen Ducrocqet-Orgel an St-Eustache. Diese Ausgabe enthält mit Offertoire op. 3, Deux Communions op. 4 und Quatre Élévations op. 5 die ersten von Batiste veröffentlichten Kompositionen. Durch seine sängerische Vorbildung und seine Tätigkeit als Korrepetitor sind seine durchaus anspruchsvollen und absolut aufführungswerten Werke sowohl stark vom Operngesang und seinem Duktus der damaligen Zeit als auch von einem gewissen pianistischen Impetus durchdrungen.
Trois Transcriptions de Beethoven et une Paraphrase de Handel enthält insgesamt vier Transkriptionen, von denen Édouard Batiste jeweils zwei unter einer Opusnummer zusammengefasst hat: Den Anfang macht Marche religieuse des Ruines d’Athen de Beethoven op. 30 Nr. 1 (in Beethovens op. 113 ist es der Marsch und Chor „Schmückt die Altäre“). In dieser eindrucksvollen Übertragung hat sich im Takt 64 in der linken Hand die falsche Harmonisierung eingeschlichen, es muss B7 sein. Es folgt unter dem Titel Fragment du Final de la Symphonie en ut mineur de Beethoven op. 30 Nr. 2 eine recht virtuose Bearbeitung des Finalsatzes von Beethovens 5. Sinfonie, die dem Spieler im Tempo einiges abverlangt. Das Grand Offertoire pour Orgue, Composé sur un thème de la Sonate pour Piano et Violon, op. 47, de Beethoven op. 35 Nr. 1 ist eine Paraphrase, oder besser gesagt eine Art Potpourri über das „Andante con variazioni“ der Sonate für Klavier und Violine Nr. 9 A-Dur op. 47, gemeinhin als Kreutzer-Sonate bekannt. Der allbekannte, als „Tochter Zion“ gesungene Chœur de Judas Machabée de Handel op. 35 Nr. 2 beschließt die interessante Sammlung.
Edwin H. Lemare (1865–1934) war einer der bekanntesten Orgelvirtuosen des englischsprachigen Raumes seiner Zeit. Neben seinem weitgefächerten Konzertrepertoire, seinen zahlreichen eigenen Kompositionen verfasste er auch eine ganze Reihe hervorragender und technisch sehr anspruchsvoller Transkriptionen von Orchesterwerken, Opern und Solokonzerten. Die Fantasia on Carmen erschien erstmals 1921 bei der H. W. Gray Company (New York). Die vorliegende Neuausgabe dieses musikalisch außerordentlich dankbaren Potpourris aus einer der populärsten Opern der Musikgeschichte übernimmt die originalen Artikulations- und Registrierungshinweise Lemares, die dem heutigen Interpreten als Anregung dienen sollen. Der etwa zwölfminütige Zyklus sollte in keiner organistischen Notenbibliothek fehlen.
Das gilt auch für die Bearbeitung des weltberühmten Danse macabre, den Camille Saint-Saëns 1872 zunächst für Gesang und Klavier komponierte, dann für Violine und Klavier/e bzw. Orchester umarbeitete. Die Orgelversion ist damit eine attraktive Bereicherung des konzertanten Repertoires. Dem Notentext sind eine hervorragende Einführung und der originale Gesangstext beigefügt.
Wie in allen oben genannten anderen Ausgaben sind der Notensatz, das Druckbild und die Begleittexte sehr ansprechend gestaltet. Natürlich sind etliche der genannten Werke schon im Rahmen von Gesamtausgaben erschienen. Wer aber eine Einzelausgabe sucht, dem seien die Publikationen wärmstens empfohlen.
Stefan Kagl