Naji Hakim

Cosmogonie

Symphonic fresco on Genesis 1:1-31 für Orgel

Verlag/Label: Schott Music, ED 22870
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/02 , Seite 58

Der als Komponist, Interpret und Improvisator ungebrochen quirlige und nimmermüde Naji Hakim, der in letzter Zeit auch immer öfter als Dirigent seiner Orchestermusik in Erscheinung tritt, hat kürzlich im Mainzer Schott-Verlag zwei weitere Orgelwerke vorgelegt. Die Toccata über den gregorianischen Introitus des Festes der Erscheinung des Herrn „Ecce advenit dominator Dominus“ ist eigentlich eine Anei­nanderreihung von Variationen über Cantus-firmus-Material dieser prominenten gregorianischen Melodie, was somit der Toccata in ihrer his­torischen Gestalt als rhapsodischer Improvisationsform und weniger als „Perpetuum-mobile“-Finalsatz à la française nahe kommt.
Das Werk beginnt mit einem impulsiven akkordischen Crescendo, das am Schluss in verkürzter Form wiederholt zitiert wird und so den Rahmen für das Stück aufspannt. Hakims Tonsprache ist hier impressionistisch inspiriert und ins­­gesamt, ohne dies im pejorativen Sinne zu verstehen, gefällig. Das figurative Flirrwerk der einzelnen Patterns liegt bequem in der Hand, es kündet vom überquellenden Erfahrungsschatz des großen Improvisators.
Im kurzen Vorwort des Autors spiegelt sich Hakims tiefe katholische Gläubigkeit, die sein gesamtes musikalisches Œuvre durchzieht. Das etwa siebenminütige Auftragswerk der Jesuitischen Kommunität in Manchester, sinnigerweise am 6. Januar 2016 ebenda uraufgeführt, ist insgesamt ein weiteres Bravourstück, das Hakim seinen inzwischen zahlreichen ähnlichen Piecen zur Seite stellt und das seine Wirkung, eine adäquate Spielfertigkeit und -freude vorausgesetzt, nicht verfehlen wird.
Ganz anders stellt sich Cosmogonie dar, eine quasi nachträglich aufgeschriebene Improvisation anlässlich des Haarlem-Improvisationwettbewerbs im niederländischen Rotterdam aus dem Jahr 1981. Hier handelt es sich, wie es im Titel an­klingt, um eine Art Programmmusik anhand des jüngeren Schöpfungsberichts aus dem Buch Genesis (Gen 1, 1–31). Diese großartige Erzählung, wahrscheinlich hinsichtlich der Autorschaft der pries­terlichen Schicht des Buches zuzurechnen, bedenkt und bewertet alle Ereignisse der Heilsgeschichte angesichts der als Katastrophe wahrgenomme­nen babylonischen Exilzeit und ist liedhaft geformt; jeder Schöpfungstag endet mit dem refrain-artigen „Es wurde Abend, und es wurde Morgen …“.
Hakims Tonsprache ist hier, wie häufig in seinen frühen Werken, we­sentlich herber, verlässt allerdings nie den Boden der Tonalität. Die Rhythmik ist sehr komplex, etliche Stellen wirken mit ihrer teilweise polyphon anmutenden Faktur neo-klassizistisch. Zudem beinhaltet das Stück etliche ungewöhnlich schwie­­rige, teils mehrstimmige solistische Pedalpassagen.
Dieses etwa zwölf Minuten dauernde symphonische Fresco stellt ganz erhebliche spieltechnische An­­forderungen an den Spieler und fordert ein gerüttelt Maß an Rezep­tions- und Reflexionsarbeit: sowohl vom Interpreten als auch vom Pub­likum. Die Zeit, sich intensiv mit dieser nicht gerade kommod daherkommenden Musik zu beschäftigen, lohnt der Mühen allemal.

Christian von Blohn