Peter Wittrich

Concerto 3 „Pax“ für Orgel

Verlag/Label: Schott Music, ED 22602
erschienen in: organ 2018/02 , Seite 56

Peter Wittrich, Jahrgang 1959, studierte u. a. im Hauptfach Komposition bei Dieter Acker an der Staatlichen Hochschule für Musik in München, bei dem er auch die Meis­terklasse in Komposition erfolgreich abschloss. Seit 2004 lehrt der vielseitige Komponist bereits selbst als Professor für Musiktheorie und Schulpraktisches Klavierspiel an dem Münchener Hochschulinstitut. Mit seinem „Peter Wittrich X-Tett“ (variable Besetzung u. a. mit Klarinette/Saxofon, Violine, Trompete, Posaune, Akkordeon [Klavier/Key­board],Vibraphon, Kontrabass/E-Bass und Percussion) praktiziert er zudem Jazz und Weltmusik in eigenen Arrangements als aktiver Musiker. (Siehe auch die Beiträge über Peter Witt­rich in organ 1/2018.)
Wittrichs 2012 entstandenes und soeben bei Schott Music erschienenes Concerto 3 Pax ist, sowohl in Bezug auf den Umfang als auch im Anspruch an den Interpreten, sein bisher bedeutendstes Solowerk für die Orgel. Achtsätzig, mithin eher in Form einer Suite angelegt, deren Sätze allerdings zyklisch aufeinander bezogen und thematisch mitei­nander verwoben sind, ist dem Interpreten zudem die Möglichkeit gegeben, einzelne Teile – diese ebenso wiede­rum in unterschiedlichen Kombinationen – konzertant aufzuführen.
Der Wunsch nach Welt- und innerem Frieden ist angesichts der fra­gilen weltpolitischen Situation gegenwärtig erneut aktuell, und jede der Weltreligionen praktiziert den Begriff und seinen Inhalt in einer jeweils zentralen Weise. In Witt­richs Werk stehen musikalische Friedens­evokationen von Chorälen, Liedern und liturgischen Friedensgrüßen der christlichen Konfessionen in Zitaten und vielschichtiger Verarbeitung im Mittelpunkt. Luthers Version von „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (Da pacem, Domine) und des Lobgesangs Simeons „In Fried und Freud fahr ich dahin“ prägen Satz I „Eingang“ und Satz II „Choralthema“ sowie Satz VII „2. Choralthema“. Wittrich erweist sich in diesen Sätzen als Experte der Dekonstruk­tion, indem er Melodie- und Satzteile extrahiert, als Akkorde zusammenfügt, in Melismen und Girlanden auflöst, über teilweise fast jazzige Bass-Ostinati schichtet, ja im Satz II einen ganzen Choralsatz aus seinen eigenen, quasi fragmentierten Bestandteilen entstehen lässt oder als melodische Klammer kleine Melodiefetzen in den weiteren Sätzen zitiert, wie auch im Satz III „Figuratio“: Hier werden Patterns, die sich zum Teil in einer vorgegebenen Zeiteinheit frei wiederholen, mit mutierten Mikrozitaten gekoppelt. Dieser Satz endet ruhig mit auf getupften Akkorden flirrenden Melismen. Der folgende Satz IV „Inventio“ ist als Verbeugung vor Bachs zweistimmiger Kontrapunktik (Inventionen) ein gekonntes Intermezzo, bis auf einige Stützakkorde konsequent zweistimmig und, sich selbst verstrickend nach einem Accelerando, durchaus witzig endend.
Ein weiteres Liedzitat findet sich im zentralen Satz V „Sonata a tocar“, der auch der umfangreichste und virtuoseste des ganzen Werks ist und sich zu einer Einzelinterpretation anbietet. In Sonatenhauptsatzform gearbeitet, prescht zuerst ungestüm ein eigenes, rhythmisch präg­nantes Thema einher, das sich motorisch weiterentwickelt. Das zweite Thema ist das frühbarocke geistliche Volks­lied Es sungen drei Engel ein süßen Gesang, das zuerst ganz ruhig und friedvoll erklingt, um dann im weiteren Verlauf der Durchführung mit den motorischen Rhythmen des ers­ten Themas unterlegt zu werden: ein Stück packende Musik, die sich sofort mitteilt. Ist es am Ende einzig das Liedzitat, was mich bei dieser Musik an Hindemith erinnert?
Liturgische Rufe „Der Friede sei mit Dir“ und „Gehet hin in Frieden“ prägen die „Aria canonica“ (Satz VI) und den „Ausgang“ (Satz VIII), der kompositorisch stringent rahmend eine formale Klammer zum ersten Satz bildet und gattungsspezifisch als Toccata – mit inkludiertem ne­ckisch-neobarocken Fugato – angelegt ist.
Die teilweise technisch anspruchsvolle Komposition rechnet mit einer mindestens dreimanualigen Orgel mit mindestens einem Schwellwerk und einer ausreichenden Anzahl von farbexpressiver Aliquotstimmen. Die Arbeit des Einstudierens dieser ihrem programmatischen wie musikalischen Anspruch nach zeitlosen, ambitionierten Orgelkomposition lohnt sich für den versierten Organisten allemal.

Stefan Kagl