Auguste Fauchard

Complete Organ Works

Friedhelm Flamme an der Schuke-Orgel der Heilig-Kreuz-Kirche zu Detmold

Verlag/Label: 3 CDs, cpo 555 506-2 (2022)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/04 , Seite 61

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

„Im Falle des Vierne-Schülers Auguste Fauchard (1881–1957) ist zu konstatieren, dass selbst sein Orgelschaffen, in dessen Mittelpunkt vier kompositions- und spieltechnisch höchst anspruchsvolle Symphonien stehen, völlig vergessen ist, was natürlich vor allem im Idiom seiner musikalischen Sprache gründet“, bemerkt Paul Thissen in seinem profunden Booklettext. Was laut Thiessen schon für Louis Vierne zutreffe, der „in weiten Teilen der klassisch-romantischen Sphäre verhaftet blieb“ und damit ein „Verspäteter“ sei, das gilt seiner Ansicht nach noch mehr für den „Epigonen“ Fauchard. Mit seinen vier Symphonien, komponiert in den Jahren 1926, 1929, 1941 und 1944, habe er aber gleichwohl nochmals einen „gewichtigen Beitrag zur Gattung ‚Orgelsymphonie‘ geleistet“, die mit Vierne ihren Höhepunkt eigentlich schon erreicht hatte.
Nach Anhören der drei in fantastischem Surround-Sound aufgenommenen CDs und nach Lektüre des Booklets muss konstatiert werden: Dass mit dem 1903 zum Pries ter geweihten Komponisten, Organisten und Pädagogen Fauchard, der zunächst am Pariser Conservatoire, später dann an der Schola cantorum studierte und dort unter anderem von Alexander Guilmant, Charles-Marie Widor, Vincent d’Indy, André Marchal und Louis Vierne unterrichtet wurde, einer der großen französischen Orgelsinfoniker in Vergessenheit geriet, ist an sich schon erstaunlich genug. Noch mehr verwundert es, dass es ein Deutscher ist, der sich seit fast dreißig Jahren für die Orgelmusik des Franzosen einsetzt. 1993 schon erschien beim Label audite eine (heute längst vergriffene) CD mit ausgewählten Orgelwerken des Meisters, gespielt von Friedhelm Flamme. Nun hat sich der aus Nordhessen stammende Organist in Sachen Fauchard also nach langer Zeit „zurückgemeldet“ – und das klingende Resultat überzeugt auf ganzer Linie!
Auch das Instrument, auf dem Flamme spielt, steht nicht in Frankreich, sondern wurde 2010 von der Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke für die Heilig-Kreuz-Kirche in Detmold als Ersatz für die bis dahin dort befindliche Breil-Orgel gebaut. Die neue Orgel verfügt über 62 Regis ter und ca. 4000 Pfeifen; klanglich orientiert sie sich an der deutschen und französischen Romantik. Zudem ist die „Schuke“ mit einigen seltenen bautechnischen Besonderheiten ausgestattet, unter anderem mit einem Mixtursetzer für alle Werke und einer Pizzicato-Koppel Hauptwerk/Pedal.
Den Klang einer „Cavaillé-Coll“ vermisse ich auf den drei CDs an keiner Stelle. Flamme spielt und registriert großartig; einige wenige Sätze, vor allem das Adagio und Scherzo aus der Première Symphonie, scheinen mir entweder zu leise gespielt oder aufgenommen. Trotzdem ist das Gesamtergebnis ein echtes Orgel-Ereignis – weil man beim Hören einfach nicht glauben kann, dass diese meisterhaft komponierte, tief lotende und orgelmäßig überaus dankbare Musik erst jetzt so richtig aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde. Die vier kürzeren auf den CDs zu hörenden Werke (In Memoriam, Le Mystère de Noël, Choral und Cinq Chorals sur Vexillia Regis) sind übrigens alles andere als nur schmückendes Beiwerk, sondern nicht minder substanziell als die Symphonien.
Man mag der Musik des Vierne-Schülers Fauchard vorwerfen, dass sie „zu spät“ kommt und vor allem in den beiden ausladenden letzten Orgelsinfonien – nur diese tragen Namen und heißen Symphonie Mariale (Spieldauer ca. 42 Minuten) und Symphonie Eucharistique (ca. 56 Minuten) – auf mitunter epigonale Weise dem französischen Katholizismus huldigt, aber diese „Linie“ ist in der französischen Orgelmusik stets präsent. Deshalb gilt ab jetzt: Fauchard darf in einem Atemzug mit Widor, Vierne und Dupré genannt werden!

Burkhard Schäfer