Maurice Duruflé
Complete Organ Works
Stephane Mottoul an der Thomas-Orgel von St. Laurentius in Diekirch (Luxemburg)
4 von 5 Pfeifen
Sind es zwanzig oder gar schon dreißig Gesamtaufnahmen der Orgelwerke von Maurice Duruflé, die im Laufe der Jahre veröffentlicht wurden? Jetzt hat sich das für qualitätvolle Orgel-CDs bekannte Label Aeolus dazu entschlossen, dieser Vielzahl noch eine weitere Aufnahme hinzuzufügen. Es ist schon richtig: Von Duruflés vornehm elegantem, höchsten Klangästhetizismus einfordernden Spätimpressionismus kann man im Grunde nicht genug kriegen. Diese neun Stücke voller Anmut, Poesie und hinreißendem Virtuosentum evozieren eine gewisse suchtartige Abhängigkeit. Mit Stephane Mottoul hat sich Aeolus dazu einen Musiker ausgesucht, der gerade bei Duruflé keine Wünsche offen lässt.
Der 28-jährige Belgier studierte bei Mernier, Pincemaille, Méa, Lohmann, Franke, Moßburger, Escaich, Fassang etc. – also hochkarätigste belgische, französische und deutsche Einflüsse, die bei diesem Interpreten schon in frühen Jahren zu einer bewunderungswürdigen Blüte gelangten. Mottouls Spiel ist makellos, elegant, zur rechten Zeit virtuos, immer mit Kalkül, in vollkommener Beherrschung, wie stürmisch es auch in der Musik zugehen mag. Mit welcher edlen Ausgewogenheit und inneren Ruhe er beispielsweise Prélude aus Opus 7 spielt, ist bewundernswert, das hat wohl einzig Marie-Madeleine Duruflé so gekonnt. Der zweite Teil der Fuge aus Opus 7 wird unerklärlicherweise auf 16’-Basis musiziert: Ist das etwa der Zusammensetzung der Mixtur geschuldet, deren nächsthöherer hinzukommender Chor dann beim ersten Comes-Einsatz sehr unmotivierte und verunklarende Akzente setzt? Ein Problem, das bei der Interpretation dieses Stücks immer wieder begegnet.
Nicht ganz unproblematisch ist es, dass sich die Voix humaine dieser ansonsten klanglich und technisch ungemein überzeugenden Orgel von St. Laurentius in Diekirch, Luxemburg – 2016 von Manufacture d’orgues Thomas aus dem belgischen Stavelot (mit zum Teil altem Pfeifenmaterial des lothringischen Orgelbauers Dalstein & Haerpfer aus dem Jahre 1870) erbaut – auf dem Positif expressif befindet und nicht auf dem Récit expressif. Im weiteren Verlauf kann die einerseits auf Klarheit abzielende und doch atmsphärischen Raumklang einfangende Tontechnik die Pedalbässe der Orgel nur unzureichend einfangen. Es ist sowieso empfehlenswert, diese Aufnahme via Multichannel zu genießen, um Plastizität und Durchhörbarkeit deutlich zu erhöhen.
Das Gleiche wie für Opus 7 gilt für Opus 4, dessen Prélude entgegen den Registrierungsangaben des Komponisten hier nur mit einem 8-Fuß alleine auf dem Schwellwerk beginnt, aber in der Interpretation großartige Wirkung entfaltet. Beim Prélude aus der Suite op. 5 macht sich das Fehlen des realen labialen 32-Fuß leider abträglich bemerkbar, ein 10 2/3-Fuß vermag diesen an der exponierten Stelle im Eingangsteil kaum ersetzen.
Das schöne Booklet (in E/F/D) mit fundierten Texten von Frédéric Blanc und Christoph Frommen würde noch mehr überzeugen, wenn die Werke in der Track-Reihenfolge der CD besprochen worden wären. Insgesamt aber empfehlenswert!
Stefan Kagl