Kenneth Leighton

Complete Organ Works

Nicky Spence, Tenor; Chloë Hanslip, Violine; Stephen Farr und John Butt, Orgel

Verlag/Label: 3 CDs, Resonus RES10134 (2017)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/03 , Seite 62

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Schon die grafische Gestaltung des Covers dieser Dreier-CD-Box lässt erahnen, was den Hörer hier erwartet: ein Blick über das wolkenverhangene Edinburgh, grau in grau … Trotz aller Farblosigkeit „strahlt“ diese Gestaltung einen gewissen künstlerischen Anspruch aus, der sich gängigem Mainstream auf dem Fonomarkt wohltuend verweigert. Was hier an Musik geboten wird, steht für höchsten Anspruch: alles andere als gefällige Hintergrundmusik. Und wenn man von der Mu­sik auf seinen Schöpfer Kenneth Leighton (1929–88) schließen darf, dann war dieser ein eher ernsthafter Zeitgenosse, dem Oberflächlichkeit ein Graus war.
Anders als Generationen von Orgelkomponisten vor und nach ihm war Leighton weder Organist noch bekennendes Glied einer Kirche. Per se gewiss kein Kriterium, das über die Qualität von Kirchen- respektive Orgelmusik entscheidet, doch rückt es manche seiner Kompositionen hörbar in den Bereich des Akademisch-Theoretischen.
Die äußere Form korrespondiert indes stets mit der Binnenstruktur. Klangliche Effekthascherei meidet Leighton ebenso wie blenderisches Virtuosentum um seiner selbst willen. So erstaunt es wenig, dass sich der 1922 geborene Komponist erst relativ spät, ab Mitte der 1960er Jahre, der Orgel zuwendet, zu einer Zeit, als sich auch in Großbritannien die Orgelreform durchgesetzt hatte, man sich – zumindest orgelmusikalisch – vom Viktorianischen zu lösen begann.
Schade ist, dass Stephen Farr für seine Gesamteinspielung kein authentisches Instrumentarium aus dieser Zeit – etwa die Orgel der Royal Festival Hall oder das Instrument der Kathedrale von Coventry (beide von Harrison & Harrison) – gewählt hat. Stattdessen sind mit Rieger und Klais zwei internationale kontinentaleuropäische Firmen vertreten: die 1992 erbaute Rieger-Orgel der St. Giles’ Cathedral Edinburgh sowie die Klais-Orgel der Symphony Hall Birmingham von 2001. Nur bei der Fantasie für Violine und Orgel über den Choral
Es ist genug kommt mit der Willis-Orgel der Londoner St. Paul’s Church Knightsbridge die „Hausorgel“ des Interpreten selbst zum Einsatz. Für diese Orgel-Auswahl mag neben dem Aspekt des Zeitgenössisch-Repräsentativen wohl auch die Raumakustik nicht unbedeutend gewesen sein. So vermitteln sämtliche Aufnahme-Settings klare Trans­parenz, jedoch stets wohlklingend und alles andere als spröde. Ja, die Symphony Hall Birmingham überrascht sogar mit einer recht orgelfreundlichen Akustik.
Über das Spiel von Stephen Farr bleibt abschließend nur zu sagen: Er wird seinem Ruf als kongenialer Interpret neuerer wie zeitgenössischer Musik auch hier vollends gerecht. Technisch ist sein Spiel makellos, dazu von großer rhythmischer Finesse. Und wer sich solcher Werke annimmt, dem geht es sicherlich nicht darum, sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Ein undoktrinärer Beitrag dazu, den Blick hin zu neuen Horizonten zu weiten – und sei es nur, um sich hinterher mit noch größerem Genuss wiederum alten Vorlieben für „Samt und Plüsch“ zu widmen.

Wolfgang Valerius