Pietro Alessandro Yon
Complete Organ Music, Vol. 1
Tommaso Mazzoletti an der Fisk-Orgel der Kathedrale zu Lausanne; Gaia Federica Caporiccio, Klavier
Empfehlung: 5 von 5 Pfeifen
Wer war Pietro Alessandro Yon? Der 1886 in der Provinz Turin Geborene studierte u. a. in Mailand, Turin und Rom und wurde dort 1905 Organist am Petersdom. 1907 wanderte er nach New York aus und gründete dort zusammen mit seinem Bruder eine Musikschule. Von 1921 bis 1926 wirkte er als Organist an St. Francis-Xavier, ab 1926 an St. Patrick’s Cathedral. In deutschen Orgelreihen und -konzerten begegnet man seinem Namen kaum bis gar nicht, was angesichts der hohen Qualität seiner Musik ein Jammer ist. Auch auf Tonträger ist Yon sträflich unterrepräsentiert. Nach seinem Tod 1943 dauerte es 75 Jahre, bis die erste Gesamteinspielung seiner Orgelwerke auf vier CDs erschien, eingespielt von Elisa Teglia beim Label Tactus.
Nun also hat Brilliant ebenfalls mit einer Box nachgezogen, betitelt „Volume 1“. Man fragt sich, warum das Label das komplette Orgelwerk des Wahl-Amerikaners nicht ebenfalls in einem „Aufwasch“ vorlegt; eine vierte CD hätte bequem Platz in der Box gehabt. Auf wichtige Werke wie etwa die 4. Orgelsonate Pastorale oder Avvent – Prima suite religiosa per organo müssen wir wohl noch ein Weilchen warten.
Und für den Fall, dass bei Volume 2 wieder derselbe Organist an derselben Orgel aktiv ist, darf jetzt schon gesagt werden: Darauf dürfen wir uns freuen! Denn was der Italiener Tommaso Mazzoletti hier auf den drei je rund eine Stunde lang dauernden CDs präsentiert, ist einfach himmlisch. Und das liegt ganz klar auch und vor allem an der Orgel. Denn Mazzoletti hätte sich für diese gleichsam transatlantische Musik seines Landsmanns, die das Beste aus der Alten und Neuen Welt in sich vereinigt, kaum ein passenderes Instrument aussuchen können als die Fisk-Orgel der Lausanner Kathedrale.
Opus 120 der Firma C. B. Fisk ist die erste Pfeifenorgel eines US-amerikanischen Orgelbauers in einer europäischen Kathedrale. Die 2003 eingeweihte Orgel verfügt (derzeit) über 98 Register und 6737 Pfeifen. Diese sind auf fünf Manualwerke (zuzüglich Fernwerk und Pedal) verteilt und lassen sich von zwei Spieltischen aus ansteuern. Die gesamte Orgelanlage wurde von Firmen aus Kanada, England, Deutschland, Italien sowie der Schweiz geplant und realisiert, die Federführung lag aber bei Fisk. Der transparente, helle, dabei warme und „satte“ Sound des Instruments begeistert. Und da Mazzoletti hier ein Meister der Registrierung ist und ein sicheres Gefühl für Tempi und Farben hat, bleiben auch in dieser Richtung keine Wünsche offen. Die chromatischen Verwerfungen der Sonata Cromatica arbeitet er dabei genauso klar, detailliert und sorgfältig heraus wie die romantischen und elegischen Implikationen der Sonata Romantica oder des Canto Elegiaco.
Zu einem Höhepunkt der Box gerät das Concerto Gregoriano for Organ and Piano. Das an sich heikle Zusammenspiel dieser zwei grundverschiedenen „Tasteninstrumente“ gelingt vorbildlich, da Mazzoletti an der „Fisk“ und die aus Florenz stammende Pianistin Gaia Federica Caporiccio an ihrem Bösendorfer bestens aufeinander eingestimmt und damit gleichwertige Partner sind. – Stark!
Burkhard Schäfer
Wer war Pietro