Aurelio Bonelli (ca. 1569 – nach 1620)

Complete Organ Music

Federico del Sordo an der Orgel (1680) der Abtei von S. Magno, Amelia (Umbrien), an Cembalo und Clavichord

Verlag/Label: Brilliant CD 95816 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/03 , Seite 59

Bewertung: 3 von 5 Pfeifen

Von dem auch als Maler hervorgetretenen oberitalienischen Komponisten Aurelio Bonelli erschien 1602 in Venedig eine Sammlung mit für Tasteninstrumente gedachter Musik: Il primo libro di ricercari et canzoni a quattro voci. Neben acht Ricercari in den Kirchentonarten und acht Canzonen enthält der nur noch in der Stadt- und Staatsbibliothek Augsburg erhaltene Druck zwei Toccaten sowie zwei „Dialogi zu acht Stimmen“, Letztere gehen auf Gedichte von Giovanni Battista Guarini (1538–1612) zurück. Damit bietet diese CD zweifellos eine Repertoire-Erweiterung.
Stilistisch stehen die Kompositionen dem drei Jahre später erschienen Lehrwerk L’organo suonarino von Adriano Banchieri nahe, sind jedoch durchweg länger und komplexer als die dort abgedruckten Versetten. Nicht nur die offensichtlich als Intavolierungen angelegten vier hochstimmigen Sätze zeigen deutliche Elemente der Mehrchörigkeit. Manche Motive meint man etwa aus Madrigalen Hans Leo Hasslers wiederzuerkennen; „déja éctoutè“ ist im Frühbarock und insbesondere der mehrchörigen Literatur mit naturgemäß eingeschränkten Kadenzbildungen nichts Ungewöhnliches.
Obwohl es an Federico del Sordos lebendig-ansprechendem Spiel mit geschmackvoll-virtuosen Verzierungen nichts auszusetzen gibt, bleibt das CD-Hörerlebnis irgendwie unvollständig. Ich möchte die Ricercari im kunstvollen Kontrapunkt und die spritzigen Canzonen keineswegs zu funktionaler Musik „degradieren“, dennoch meine ich, sie verlangen nach Live-Darbietung in einem wie auch immer gearteten Kontext; vielleicht genügt schon die Atmosphäre einer Kirche oder eines Palazzo.
Die Hörfolge ist bereits abwechslungsreich, indem passende Kopien von Cembalo und Clavichord verwendet werden. Auch die ausgewählte Orgel ist für diese Musik ideal: Das kleine Instrument der Abteikirche von San Magno in Amelia geht auf das 17. Jahrhundert zurück und wurde 1996 durch Riccardo Lorenzini restauriert. Sein Klang besticht durch Intimität, Milde und Präsenz gleichermaßen; besonders anmutig ist die an italienischen Orgeln dieser Zeit eher seltene 4’-Flöte (Canzona Erina). Das Werk verfügt über zwei Spieltische: einen innerhalb der Klausur und einen im Kirchenraum selbst.
Federico del Sordo hat die doppelchörigen Stücke in zwei Durchgängen aufgenommen; das Ergebnis ist eine verblüffend plastische Wiedergabe, so dass man zwei Orgeln zu hören glaubt. Eine interessante Neueinspielung – abseits gängiger Produktionen.

Markus Zimmermann