Bruhns, Nicolaus

Complete Organ Music

und Werke von Jan Pieterszoon Sweelinck, Heinrich Scheidemann, Samuel Scheidt, Dieterich Buxtehude

Verlag/Label: Brilliant Classics 94447 (2014)
erschienen in: , Seite 58
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Das quantitativ ausgesprochen überschaubare Orgelwerk des allzu früh vollendeten Nicolaus Bruhns (1665–97; s. a. den Beitrag von Siegbert Rampe in diesem Heft) zählt gleichwohl zu den kost- und zugleich sonderbarsten Schätzen des norddeutschen Orgelrepertoires. Fast eine Generation jünger als der zu Lebzeiten bereits „weltberühmte“ Buxtehude in der Hansestadt Lübeck, gelingt es Bruhns sowohl die spezifischen Charakteristika des „Stylus phantasticus“ in Klangrede und formalem Aufbau (fünfteilige Toccatenform) geschickt zu verwenden und zugleich weiter zu entwickeln, als auch eine eher neuartige binäre Gliederung in (dem ihm zugeschriebenen) Präludium und Fuge (Praeludium g-Moll) zu erreichen. Vollends „eigenartig“ und den Vorbildern Buxtehudens und Lübecks entwachsen erweist sich die umfangreichere Choralfantasie „Nun komm, der Heiden Heiland“, die auch aufgrund ihrer überreichen Ornamentierung nicht ganz leicht überzeugend darzustellen ist. 
Der von namhaften Lehrern ausgebildete italienische Organist Adri­ano Falcioni hat nun das gesamte (überlieferte) Orgelwerk von Bruhns an der Pinchi-Orgel der Kirche San Giorgio in Ferrara eingespielt. Disposition, Werkaufbau und Stimmung dieser noch ganz neuen Orgel hat der für seine ungewöhnlichen Konzepte bekannte Organist Claudio Brizi in Zusammenarbeit mit dem ihm bestens vertrauten Orgelbauer Claudio Pinchi aus Foligno erarbeitet. Hierbei wurden weitgehend Mensuren der Schnitger-Orgeln von Hamburg, Cappel und Norden verwendet; der Stimmton liegt bei 465 Hz und die Stimmtemperatur erweist sich gemildert mitteltönig. Interessanterweise wurde die Orgel in ein vorhandenes, ganz typisches Barockgehäuse italienischer Provenienz integriert. Der Höreindruck der Orgel auf dieser Aufnahme allerdings ist dann zwiespältig: Die gravitätische Wucht und schiere klangliche Präsenz der originalen norddeutschen Vorbilder wird kaum erreicht, dafür besitzt das Instrument italienischen Char­me und eine sehr lebendige Intonation. Die klangliche Seite der Aufnahme ist insgesamt ausgewogen räumlich, allerdings dominieren die Zungen des Pedalwerks bisweilen sehr.
Adriano Falcioni macht seine Sache gediegen musikantisch und auch im besten Sinne „routiniert“. Nach einer Weile stellt sich beim Hörer allerdings eine gewisse Ermüdung ein, in erster Linie den wenig fantasievollen, monotonen Plenumsmischungen geschuldet. Die essenziellen Registriermöglichkeiten und -vorgaben der norddeutschen Schule werden hier zu wenig berücksichtigt, ganz selten nur ist eine der so zahlreich disponierten Solozungen zu hören. Die weit ausgreifenden Gesten der Bruhns’schen Klangrede werden bisweilen mit „Virtuosität“ verwechselt, wobei auch in der Choralfantasie trotz gelungener Details keine einheitlich dramatische Linie gelingt, weil unnötigerweise bei Verdichtungen in Stimmführung, Takt und Ausdruck die „Registrierbremse“ disfunktional angezogen wird.
 
Christian Brembeck