Sperindio Bertoldo / Cesare Borgo

Complete Organ Music

Manuel Tomadin an der Vincenzo Colombi-Orgel der Ss. Corpo di Cristo-Kirche in Valvasone (Pordenone, Italien)

Verlag/Label: Brilliant 95847 (2020)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/01 , Seite 60

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Der italienische Organist Manuel Tomadin hat dem recht stattlichen Reigen seiner bisherigen Einspielungen bei Brilliant Classics nun eine weitere CD hinzugefügt, die sich dem Gesamtwerk zweier heute praktisch völlig unbekannter Meis­ter aus der Spätrenaissance bzw. aus der frühbarocken Ära Italiens widmet. Sperindio Bertoldo, etwa um 1530 in Modena geboren, wurde 1552 zum Organisten an der Kathedrale von Padua ernannt – eine Position, die 1557 zwar noch einmal anhand einer 16-jährigen Vertragsverlängerung bekräftigt, im selben Jahr jedoch aufgrund von „Insubordination“ aufgelöst worden war. Die Gründe hierfür sind nicht weiter bekannt; erstaunlicherweise berief man Bertoldo aber einige Monate später erneut an die Kathedrale, wo er bis zu seinem Lebensende am 15. August 1570 blieb. Man hatte wohl die herausragenden Fähigkeiten des Musikers erkannt …
Zu Bertoldos Lebzeiten wurden mehrere Konvolute im Druck veröffentlicht, darunter zwei Madrigalbücher (Il primo libro di madrigali …, 1561, und Il secondo libro di madrigali …, 1562), nach seinem Tod ebenfalls zwei Werke für Tasteninstrumente (Canzoni francese und To­cate, Ricercari …, beide 1591). Sti­listisch scheint Bertoldo von seinen bekannten Zeitgenossen Andrea Ga­brieli, Claudio Merulo und Andrea Cavazzoni beeinflusst zu sein, wobei seine Werke eine erstaunliche Knappheit der zeitlichen Ausdehnung bei großer Ausdrucksdichte aufweisen. Unter den Canzoni fran­cese finden sich zahlreiche meisterlich diminuierte Intavolierungen von Werken anderer Meis­ter wie Thomas Crequillon, Clement Jannequin und Clemens non Papa. Für Kenner und Liebhaber des zeittypischen italienischen Repertoires ist das hier eingespielte Gesamtwerk Bertoldos sicherlich eine hoch willkommene Fundgrube!
Der zweite Teil der vorliegenden CD ist dem eine Generation später, nämlich zwischen 1560 und 1565 in Mailand geborenen Komponisten Cesare Borgo gewidmet. Borgo war ab 1584 Organist in Gessate und seit 1592 an der Kathedrale von Mailand, wo er Bischof Carlo Borromeo unterstand. Zu jener Zeit legte man in Mailand unter dem Eindruck des Tridentinischen Konzils bei der Verpflichtung von Or­ganis­ten größten Wert auf deren Qualität und Aufführungspraxis in Bezug auf kontrapunktische „Reinheit“. Das aus Borgos Feder überlieferte Druck­werk Canzoni per sonare fate alla francese a quattro voci (1599) scheint diesen Ansprüchen jedenfalls auf sehr hohem künstlerischen Niveau genügt zu haben. Die Canzonen sind ausnahmslos in dreiteiliger Form angeordnet, was deren strukturelle Klarheit sehr unterstützt.
Manuel Tomadin hat für seine Einspielung mit der Orgel von Vincenzo Colombi (1532/33) in der Kirche Ss. Corpo di Cristo in Valvasone (Pordenone) ein bedeutendes zeitgenössische Instrument gewählt. Die 1999 von Francesco Zanin in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzte Orgel klingt jedenfalls sehr frisch und farbig, Tomadins Spiel ist tadellos und offensichtlich beseelt durch große Vertrautheit mit diesem Repertoire. Eine durchaus empfehlenswerte Einspielung!

Christian Brembeck