Saint-Saëns

Complete Music for Organ

Michele Savino an der Welte-Orgel von Sankt Bonifatius in Emmendingen und an der Forster and Andrews-Orgel von Sankt Johannes der Täufer in Forchheim

Verlag/Label: 4 CDs, Brilliant (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2022/02 , Seite 60

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

Der Name Camille Saint-Saëns ist in der „Hall of Fame“ der großen französischen Orgelmeister nicht oft zu finden. An der hohen Qualität seiner Orgelkompositionen kann es nicht liegen, wohl eher daran, dass er keine abendfüllenden Orgelsinfonien oder wenigsten -sonaten geschrieben hat. So gibt es nur vergleichsweise wenige Gesamteinspielungen seines Orgel-Œuvres.
Die Ende 2021 zum 100. Todestag von Saint-Saëns erschienene Box Complete Music for Organ hält, was sie in punkto „Completeness“ verspricht – und sie vereint das Beste aus drei Welten: Ein Italiener spielt Musik eines Franzosen an zwei deutschen Orgeln. Der Mix begeis­tert regelrecht. Das liegt zunächst an der – fantastisch klingenden! – Orgel der St.-Bonifatius-Kirche in Emmendingen, die 1939 mit III/47 von der Firma Welte aus Freiburg gebaut wurde und über eine elektrische Traktur (Elektro-Tonmagnete) verfügt. Es ist ein Instrument aus der späten Hoch-Zeit des deutsch-romantischen Orgelbaus, das sich unter den begnadeten Händen und Füßen von Michele Savino in seiner ganzen Pracht und Größe zeigt. Drei der vier CDs hat Savino dort aufgenommen; nur CD Nr. 2, auf der die Stücke zu hören sind, die Saint-Saëns „für Orgel oder Harmonium“ komponiert hat, spielt er an einer kleineren, aber kaum minder beeindruckend klingenden Orgel: Das über 19 Register verfügende Instrument wurde 1891 von Forster and Andrews für die Parish Church of Maybole (Schottland) gebaut, von der niederländischen Firma F. R. Feenstra restauriert und fand 2011 seinen Platz in der Kirche St. Johannes Baptist im südbadischen Forchheim. Er habe diese Orgel ausgewählt, weil sie eine Registrierung ermögliche, mit der man auch den Klang eines Harmoniums erzeugen könne, schreibt Savino im Booklet. Insbesondere für die Neuf Pièces pour Harmonium sei dieser Klang unerlässlich.
„Saint-Saëns’ Orgelwerke mit ihren typischen Charakteristika verlangen nicht danach, auf einer französisch-symphonischen Cavaillé-Coll-Orgel gespielt zu werden“, schreibt Savino zur Wahl der Welte-Orgel: So entpuppt sich das deutsche Instrument als ein echter Glücksfall. Ein solcher ist auch die Art, wie Savino an „seinen“ Saint-Saëns herangeht: Akribisch, mit langem, ruhigem Atem und sicherem Gespür für Tempi baut er große, architektonisch anmutende Spannungsbögen auf; Savino geht in die Tiefe, beleuchtet die Werke gleichsam von innen her, setzt nicht auf Effekte, Virtuosität oder gar Bombast. Seine herrliche Registrierung tut ein Übriges, um die Stücke klanglich zu profilieren. Hier bekommen wir keinen „Saint-Saëns à la salon et surface“ geboten, sondern wahrlich einen Orgelmeister „avec profondeur et signification“.
Einziges Manko bilden die mitunter deutlich vernehmbaren Klappergeräusche der Welte-Orgel, weniger dem Instrument selbst als vielmehr der Tontechnik anzulasten. Offensichtlich wurden die Mikrofone beim Spieltisch aufgestellt und nicht gemäß der Hörerposition im Kirchenschiff. So ist das Klangbild der CDs zwar äußerst brillant, aber deshalb eben auch sehr direkt und somit einen Tick zu unnatürlich.

Burkhard Schäfer