Vincent Lübeck

Complete Harpsichord and Organ Music

Manuel Tomadin am Cembalo und an der Van Hagerbeer/ Schnitger-Orgel (1646/1725) der Grote Sint-Laurenskerk in Alkmaar (Niederlande)

Verlag/Label: 2 CDs, Brilliant 95453 (2018)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/04 , Seite 62

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Die vom 16. bis zum anbrechenden 18. Jahrhundert so frucht­bare Wechselwirkung von teils monumental konzipierten Orgeln in den großen lutherischen Stadt- und Bürgerkirchen Norddeutschlands und herausragenden, an jenen Instrumenten amtierenden Musikerpersönlichkeiten manifestiert sich im überlieferten Orgelwerk auch von Vincent Lübeck. Ihm widmet sich ein Doppelalbum des italienischen Orga­nis­ten Manuel Tomadin, das alle derzeit erreichbaren Werke Lü­becks – an passendem Instrumentarium gespielt – vereint.
Vincent Lübeck wurde 1654 in der Nähe von Bremen geboren, wuchs dann aber in Flensburg auf (als Stiefsohn des dortigen Marien-Organisten Caspar Förckelrath) und erlangte mit gerade einmal zwanzig Jahren 1674 den Posten des Organisten an Ss. Cosmae et Damiani zu Stade; diese Kirche hatte zuvor (1668–1773) das bis heute bestehende prachtvolle Orgelwerk aus der Werkstatt von Berendt Hus und dessen Schüler und Neffen Arp Schnitger erhalten. Lübeck erwarb sich bald einen hervorragenden Ruf als Spieler, Lehrer und sachverständige Autorität auf dem Felde des Orgelbaus. Eine enge persönliche sowie professionelle Verbindung zu Arp Schnitger trug Früchte, unter anderem bei der Abnahme der Orgeln von St. Jacobi und St. Nicolai zu Hamburg; an Letzterer wirkte Vincent Lübeck von 1702 an bis zu seinem Tod im Jahr 1740. Mit 67 Regis­tern war die Nicolai-Orgel das größte zeitgenössische Instrument – und hier darf man für die Zeit von Lübecks Wirken getrost die weiter oben erwähnte Koinzidenz zwischen Instrument und musikalischer Schöpfung annehmen.
Lübecks Orgelkunst zeichnet sich durch Formbewusstheit, Virtuosität (zahlreiche Doppel-Pedal-Stellen) kontrapunktische Meisterschaft (Fünfstimmigkeit) und den meis­ter­lichen Gebrauch des zeitgenössischen Formelkatalogs aus (Passagen, Doppel-Fugen, toccatische sowie rezitativische Strukturen und dergleichen mehr).
Manuel Tomadin, bereits bei anderer Gelegenheit durch sein kennt­nisreiches Spiel aufgefallen, erweist sich auch bei dieser Einspielung der gesamten überlieferten Orgel- und Clavier-Werke Lübecks als sachkundiger, musikantischer Interpret. Neben der überwältigend schönen Van Hagerbeer/Schnitger-Orgel (1646/1725) der Sint-Laurenskerk zu Alkmaar – wo er die sieben Prae­ludien sowie die choralgebundenen Werke und zwei kleinere Stücke höchst sprechend und klanglich wirkungsvoll darbietet – verwendet er für Lübecks Clavier Uebung von 1728 und die gewissermaßen als großzügige „Zugabe“ beigegebenen 45 Stücke des anonymen Manuskripts S.M.G. von 1691 (in dem sich auch mehrere Lübeck zugewiesene Stücke befinden) eine sehr lebendig und frech klingende Klein-orgel von Francesco Zanin sowie die Kopie eines Mietke-Cembalos von etwa 1700. Hier wäre allerdings die Wahl eines zeitgenössischen hamburgischen Großinstruments (etwa nach Hass) wohl überzeugender ausgefallen. Die Aufnahmen klingen sehr natürlich, das Anhören beider CDs macht Freude – ein gelungenes Unterfangen!

Christian Brembeck