Johann Caspar Kerll

Complete Harpsichord and Organ Music

Matteo Messori am Cembalo und an der Egedacher-Orgel zu Mariä Himmelfahrt in Vornbach am Inn

Verlag/Label: 3 CDs, Brilliant 94452 (2021)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/02 , Seite 61

Einem der Großen der frühbaro­cken Ära im süddeutschen Raum mit einer Gesamtaufnahme seines überlieferten Werks für Tasteninstrumente zu huldigen, ist grundsätzlich ein sehr begrüßenswertes Unterfangen. Nach der – sowohl quantitativ als auch qualitativ umfangreichen – Würdigung des Froberger-Œuvres in den letzten Jahren „trifft“ es nun Johann Caspar Kerll, der durch seine Ausbildung in Italien wie seine renommierten Wirkungsstätten offensichtlich schon zu Lebzeiten gro­ße Ausstrahlung besaß.
1627 im vogtländischen Adorf als Sohn eines Orgelbauers geboren, hielt sich Kerll etwa von 1645 bis 1649 zum Zwecke weiterer Ausbildung in Wien und Rom auf, wo er nicht nur Schüler des berühmten Giacomo Carissimi war, sondern auch Katholik wurde. Die­se Zeit scheint seine Tonsprache nachhaltig geprägt zu haben, wie seine Orgel- und Cembalokompositionen zeigen. Ob er wirklich anschließend – wie des Öfteren vermutet – Hoforganist in Brüssel war, lässt sich nicht belegen. 1656 ist Kerll aber in München, wo er als Leiter der Hofkapelle bis 1674 bleibt. 1664 wurde er von Kaiser Leopold I. in den Ritterstand erhoben, was auf eine hohe Reputation des Meisters schließen lässt. Später wirkte er in Wien an St. Stephan und als einer der Hoforganisten, bis er um 1684 unter ungeklärten Umständen nach München zurückkehrte, wo er 1693 verstarb.
Johann Caspar Kerll schrieb zahlreiche Werke der Geistlichen Musik wie auch Opern, von denen ein lateinisches Jesuitendrama erhalten geblieben ist. Von besonderem Interesse sind seine Werke für Tasteninstrumente, die teils zu seinen Lebzeiten im Druck veröffentlicht wurden, wie beispielsweise die Sammlung MODVLATIO ORGANICA SVPER MAGNIFICAT OCTO EC­CLESIASTICIS TONIS RESPONDENS.
Matteo Messori vereint in seiner Gesamteinspielung Kerlls überlieferte acht Toccaten, sechs Canzonen, vier Clavier-Suiten, mehrere freie Stücke wie die Battaglia oder das Capriccio sopra il Cucu sowie die schon erwähnte Modulatio organica. Der fantastische Stil der Toccaten bewegt sich häufig auf der einsamen Höhe Frobergers; Frescobaldis Einfluss findet sich wiederum in der Toccata quarta („con durezze e ligature“). Eine der besten ihrer Art ist die Passacaglia in d, während die Clavier-Suiten wieder dem Frobergerschen Vorbild nachgebildet sind.
Bedeutend ist die Sammlung Modulatio organica, die sich der Alternatimpraxis zu den acht Magnificat-Tönen annimmt. Messori hat sich als Medium für diese Musik einen wahren Leckerbissen süddeutsch-österreichischer Orgelbaukunst ausgewählt, nämlich Raum und Instrument der ehemaligen Klosterkirche Vornbach bei Passau. Die 1732 von Johann Ignaz Egedacher fertiggestellte Orgel ist vor einigen Jahren anhand einer mustergültigen Restaurierung wieder in den ursprünglichen Zustand gebracht worden.
Bei der Ausführung der Modulatio organica intoniert Countertenor Łukasz Dulewicz klangschön und stilkundig vor jedem der Magni­fi­cat-Versetten die jeweilige Psalmodie – eine schöne und einleuchtende Lösung, zu der auch Messoris überlegtes Orgelspiel hervorragend passt – der weitaus stimmigste Teil der Einspielung. Schwieriger stellt sich die Aufnahme der restlichen Werke dar, die Matteo Messori ganz selten auf die Egedacher-Orgel, dafür umso mehr auf drei unterschiedliche Cembali verteilt. Bedauerlich finde ich, dass gerade der berühmte Kuckuck nicht in Vornbach, sondern quasi als „Grille“ auf einem Cembalo erklingt.
Überhaupt halten die gewählten Cembali keinesfalls dem Qualitätsniveau der Egedacher-Orgel stand; es sind zwei nicht allzu farbig klingende Kopien italienischer Vorbilder und ein leider stilistisch völlig inadäquates, vorgeblich frühfranzösisches Instrument, das in der Tat bei Rameau und François Couperin am Platze gewesen wäre, für die Klangwelt Kerlls aber leider überhaupt nicht taugt.
Die zeitlichen Bedingungen der Aufnahme scheinen eine mehrfache Nachstimmung der drei Instrumente verhindert zu haben, was sich anhand einer Reihe von ärgerlichen Stimm-Ausreißern dokumentiert. Der recht unruhige Klangwechsel von Räumen und Instrumenten auf den beiden ersten CDs wirkt verstörend – weniger wäre mehr gewesen. Schade, da Matteo Messori eigentlich wirklich schön und spannungsvoll spielt.

Christian Brembeck