Josef Rheinberger
Complete 20 Organ Sonatas
Christian von Blohn an der Orgel der Josefskirche St. Ingbert
Bewertung: 4 von 5 Pfeifen
An (sehr) guten Gesamteinspielungen der insgesamt zwanzig zwischen 1868 und 1901 entstandenen Orgelsonaten des aus Vaduz stammenden Komponisten, Organisten und Musikpädagogen Josef Gabriel Rheinberger (1839–1901) fehlt es eigentlich nicht. Ende der 90er / Anfang der Nullerjahre hatten Rudolf Innig (für MDG) und Wolfgang Rübsam (für Naxos) je eine „Rheinberger-Totale“ auf hohem Niveau vorgelegt, die diesen Namen verdient, weil sie auf zwölf CDs (Innig) alle bzw. auf acht CDs (Rübsam) fast alle Orgelwerke des Liechtensteiners präsentieren. Der britische Organist Roger Sayer hatte seinen Sonaten-Zyklus (für Priory Records, 6 CDs) 2018 vollendet; dieser wird in Kontinentaleuropa aber nicht vertrieben. Während Innig seinen Rheinberger-Zyklus an verschiedenen romantischen Orgeln einspielte, entstanden die Rübsam-Aufnahmen ausschließlich an der Rieger/Sauer-Orgel des Fuldaer Doms.
Der gebürtige Saarländer Christian von Blohn, seit 1993 Dekanatskantor für das Bistum Speyer, folgt dem Beispiel Rübsams und präsentiert „seinen“ Rheinberger an „seinem“ Instrument: der 1894 von der Firma Voit & Söhne in spätromantischem Stil gebauten und 1933 stark erweiterten Orgel der Kirche St. Josef in St. Ingbert. Der Komponist, Organist und Rheinberger-Schüler Ludwig Boslet (1860–1951) kam 1899 (auch) eigens wegen dieser Orgel nach St. Ingbert, „und er hat dort ziemlich sicher auch Orgelsonaten seines Lehrers gespielt“, wie mir von Blohn erklärte. Er habe bei seinen Aufnahmen so weit wie möglich versucht, nur die Orgel-Grundsubstanz von 1894 zu nutzen – ursprünglich 35 Register – und die anderen 19 später hinzugekommenen Register nicht zu verwenden. „Die ‚Voit‘ ist in ihrer Grundsubstanz also eine typische Rheinberger-Orgel aus dieser Zeit, die seinem Klangideal vermutlich sehr nahekam“, so von Blohn.
Trotz von Blohns selbst auferlegter Beschränkung auf im Wesentlichen 35 Register (oder gerade deshalb) kann sich das (klangliche) Ergebnis wahrlich hören lassen, auch im Vergleich zu Innig und Rübsam, die an ihren Orgeln buchstäblich mehr Register ziehen und deshalb auch zum Teil farbigere Lesarten der Werke liefern können. Im Unterschied zu Rübsam, der mitunter recht breite Tempi bevorzugt, ist von Blohn in fast allen Sätzen mit etwas mehr Drive unterwegs, was den Sonaten guttut. Und da sein Spiel klar und strukturbetont ist, kann man die „Baupläne“ der Werke als Hörer sehr gut nachvollziehen. Zwischen den Tracks und Werken hätte man sich mitunter etwas längere Pausen gewünscht; zudem wird einigen der (Final-)Sätze nicht die Zeit vergönnt, in Ruhe auszuklingen, im Großen und Ganzen sind die Akustik und die Schnitttechnik der Aufnahmen aber gut bis sehr gut gelungen.
Fazit: Diese Box lädt eindringlich dazu ein, Vorurteile über den vermeintlich glatten Klassizisten Rheinberger gründlich zu revidieren. Christian von Blohn zeigt uns hier einen Orgelkomponisten allererste Güte auf der Höhe seiner Zeit und Kunst. Die Sorgfalt, die der Organist hat walten lassen, spürt man. Großartig!
Burkhard Schäfer