Orff, Carl

Carmina Burana

8 Stücke für Orgel, hg. von Klaus Uwe Ludwig

Verlag/Label: Edition Schott (ED 20536) Mainz 2009
erschienen in: organ 2009/04 , Seite 56

Die dank der Vertonung Carl Orffs welt­berühmten Carmina Burana („Beurer Lieder“ oder „Lieder aus Benediktbeuern“) bilden eine An­thologie von 254 mittellateinischen, seltener mittelhochdeutschen, altfranzösischen oder provenzalischen Lied- und Dramentexten zumeist anonymer Dichter, mehrheitlich aus dem 11. und 12. Jahrhundert und gelten neben den älteren Carmina Cantabrigiensia als die wichtigste Samm­lung der Vagantendichtung. Sie bilden zudem die textliche wie programmatische Basis der szenischen Kantate Carmina Burana von Carl Orff, die 1937 in der Frankfurter Oper uraufgeführt wurde.
Orff war 1935 auf den lateinischen Text in der Schmeller’schen Edition gestoßen und verarbeitete 24 der Lieder zu einem monumentalen Chorwerk. Ihre zentralen Themen sind „Wechselhaftigkeit von Glück“, „Flüchtigkeit des Lebens“ oder „Laster, Wohlgenüsse und deren Gefahren“. Orff schuf mit seinem Werk eine neue Art der Musik: In Ermangelung einer adäquaten Umschrift mittelalterlicher Notationsformen (Neumen etc.) entschloss er sich, die mittelalterliche Musik mit ihren Bordunklängen oder Skalen effektvoll „nachzuahmen“. Das Ergebnis war ein Werk, das durch seine Urwüchsigkeit, bisweilen auch Brutalität (ähnlich wie Strawinskys Le Sacre du printemps) eine ungeheure und beispiellose Popularität erfuhr. Orff selbst bekannte gegen­über seinem Verleger in Mainz: „Al­les, was ich bisher geschrieben und was Sie leider gedruckt haben, können Sie nun einstampfen! Mit den Carmina Burana beginnen meine gesammelten Werke!“
Acht Stücke aus diesem populären Werkkomplex wurden nun von Klaus Uwe Ludwig für die Orgel transkribiert: O Fortuna – Fortune plango vulnera – Uf dem anger – Reie – Swaz hie gat umbe – Chume geselle mni – Were diu weit alle min – In trutina. In seinem Bearbeiter-Vorwort rechtfertigt Ludwig ganz grundsätzlich das Transkribieren für die Orgel, das nicht nur eine lange und legitime Tradition im Bereich der Orgelmusik aufzuweisen hat, sondern musikgeschichtlich gar den Ursprung jeder genuinen Orgelmusik (organale Kontrafakturen, Intavolierungen) darstelle. So mag es also nur folgerichtig erscheinen, wenn Orffs Musik für die Orgel gesetzt wurde, zumal dieser selbst ein ausgezeichneter Arrangeur gewesen ist und eine gute, wirkungsvolle Orgelfassung vermutlich als sinnvoll angesehen hätte.
Orgeltranskriptionen haben erfahrungsgemäß allerdings häufig den Nachteil, dass die Herausgeber das Original – verständlicherweise – zu­nächst einmal so weit wie möglich in seinem „integeren“ Zustand belassen möchten, was mitunter allerdings einer wirklich orgelgemäßen Umsetzung abträglich ist. Ein guter Bearbeiter hält das Zielinstrument, für das er umschreibt und auf dem die Musik letztendlich alleine erklingen soll (muss), mit all seinen klanglichen Vorzügen wie Defiziten stets klar im Auge. Der Herausgeber des vorliegenden Arrangements ist der Orgelwelt seit langem als vor­züglicher Konzertorganist und Arrangeur geläufig. Die Orff-Übertragung überfordert einen (halbwegs professionellen) Spieler nicht, obgleich sie hohe technische Maßstäbe wie etwa das Spiel im Doppelpedal setzt. Das Ergebnis überzeugt jedoch und lohnt der Mühe – die bei der Einstudierung gewiss nicht ausbleiben wird.
Wichtige aufführungspraktische Zu­sätze wie Tempo- und Metronom­angaben, die sich auf das Original beziehen, ergänzen den Notentext. Der Herausgeber warnt jedoch aus gutem Grund vor einer Übertragung von musikalischen Vorschriften im Verhältnis eins zu eins; die Orgeln und die jeweils sehr unterschied­lichen Klangräume, in denen sie stehen, entbinden den Spieler prinzipiell nicht von seiner Pflicht, stets genau auf den Klang und die Musik zu hören, anstatt den „originalen“ Vorschriften des Komponisten blind zu vertrauen. Konsequenterweise verzichtet Ludwig denn auch auf konkrete Hinweise zur Registrierung.
Der Schott-Notentext ist wie üblich sauber und leserfreundlich gesetzt – erfreulich sogar im Hochformat! – und mit einem knappen zweisprachigen Vorwort auf deutsch und englisch versehen.

Volker Ellenberger