Werke von Mendelssohn, Otto Dienel, Franz Wagner, August Haupt und Philipp Rüfer

Berlin! Organ Works by Berlin Composers

Andreas Sieling an der Sauer-Orgel des Berliner Doms

Verlag/Label: Dabringhaus und Grimm, MDG 946 2161–6 (2020)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/02 , Seite 55

Domorganist Andreas Sieling legt eine gleich zweifach bemerkenswerte Kompilation von Orgelkompositionen Berliner Komponisten vor: Zum einen handelt es sich um eine sehr gelungene Porträt-CD einer der wertvollsten deutschen Orgeln der Zeit um 1900, zum anderen dokumentiert Sieling zugleich die Vielfalt der Berliner Orgelszene dieser Epoche, zum Teil mit Ersteinspielungen.

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Bekanntermaßen gehört die große Sauer-Orgel des Berliner Doms von 1905 (V/P/113) zu den wichtigsten spätromantischen Instrumenten dieser Größe – zumal sie zu einem erheblichen Teil original erhalten ist. Domorganist Andreas Sieling legt eine gleich zweifach bemerkenswerte Kompilation von Orgelkompositionen Berliner Komponisten vor: Zum einen handelt es sich um eine sehr gelungene Porträt-CD einer der wertvollsten deutschen Orgeln der Zeit um 1900, zum anderen dokumentiert Sieling zugleich die Vielfalt der Berliner Orgelszene dieser Epoche, zum Teil mit Ersteinspielungen. Als roter Faden der CD erscheinen die drei Präludien und Fugen op. 37 von Felix Mendelssohn Bartholdy, die von Sieling differenziert und zugleich mit großer Verve interpretiert werden: Sein Ansatz macht die besondere Funktion der drei Werkpaare als Scharnier zwischen der kreativen Rezeption der Musik Johann Sebastian Bachs hin zur Orgelmusik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso deutlich wie die Vielseitigkeit des Instruments.
Hier erstmals auf CD festgehalten, kann die Konzertfuge C-Dur von August Haupt, Organist an der Berliner Parochialkirche, mit Mendelssohns Fugen mithalten hinsichtlich der Komplexität der Anlage, aber vor allem in der Übertragung einer vom Klavier stammenden Vir­tuosität auf die Orgel. Vom Marien­organisten Otto Dienel erklingen zwei Preziosen – darunter entrückt schön die Choralbearbeitung Nun ruhen alle Wälder mit der Unda maris im Mittelteil –, und das „Phantasiestück“ Trionfo della Vita op. 76 des Grunewaldkirchen-Organisten Franz Wagner ist ein schmissiges symphonisches Stück Musik, bei dem Sieling auch die Crescendo-Walze seiner Orgel nutzen kann. Einen besonderen Fund stellt die Sonate g-Moll op. 16 von Philipp Rüfer dar: Der Kompositionslehrer am Sternschen Konservatorium hat mit seiner dreisätzigen Sonate von 1873 einen so leidenschaftlichen wie gut konstruierten Gattungsvertreter vorgelegt, der deutlich macht, woher Max Reger – der 1894/95 mit der Herstellung eines Klavierauszugs zu Rüfers zweiter Oper Ingo beschäftigt war – durchaus Anregungen bezogen haben dürfte.
Originell ist die Zugabe, in der der begnadete Improvisator Sieling über Berliner Volksgut fantasiert – und die berühmte Berliner Luft nicht nur auf der Orgel zu hören ist: Anders als bei regulären Aufnahmen, die in der Regel aus Gründen der Reduzierung von unerwünschten Nebengeräuschen nachts stattfinden, wurde die Aufnahme der Zugabe nicht nur am Tag, sondern auch bei geöffneten Türen getätigt – inklu­sive Brummen der Linienbusse und Gespräche im Eingangsbereich des Doms. In der 3-D-Mehrkanalwiedergabe ist dies eine echte Bereicherung: Berlin, Klang der Großstadt …

Birger Petersen