Bach, Johann Sebastian / Dieterich Buxtehude

Bach – Buxtehude

Verlag/Label: EPR-Classic, EPRC 003 (2008)
erschienen in: organ 2009/04 , Seite 49

4 Pfeifen

Die nahe liegende Idee einer Neben­einanderstellung von Orgelwerken Dieterich Buxtehudes und J. S. Bachs ist gewiss alles andere als neu. Gleichwohl bleibt die Konfrontation des scheinbar alles überragenden Genius Bach mit seinen eigenen bio­grafischen wie musikalisch-stilistischen Wurzeln stets ein lohnendes und spannungsreiches Unterfangen. Im Falle des großen, zu Lebzeiten bereits „weltberühmten“ Dieterich Buxtehude lassen sich so Einflüsse des Stylus Phantasticus oder die Ver­wendung gewisser formaler (u. a. etwa italienischer) Kompositionsprinzipien auf die spätere Entwicklung des Bach’schen Musikstils anschaulich nachvollziehen; dies gilt beispielsweise für die rhetorisch-deklamatorische „langage“ Bachs in dessen großdimensionierten Cho­ral­vorspielen oder für die Vervollkommnung von Variationsmodellen wie in der Chaconne BWV 1004 für Violine solo oder der frühen Arnstädter Orgel-Passacaglia in c-Moll, deren zeitliche Nähe zur norddeutsch-Lübecker Reise des Komponisten die instrumentalen Ciaconen, Passacaglien und sonstigen c.-f.-gebundenen Variationswerke Buxte­hudes immer mit- und vorausdenkt.
Der Orgelmacher Bertrand Cattiaux hat sich beim Neubau der Orgel in der Basilique Saint-Remi in Reims von zwei altfranzösischen Orgeln (Etampes und Bolbec) inspirieren lassen, die ihrerseits unter flämischem Einfluss enstanden sind. Das neue dreimanualige, rund 45 Stimmen aufweisende Instrument klingt ausgesprochen farbig und edel in dem auch kunsthistorisch hoch­bedeutenden frühgotischen Riesenraum. Insbesondere in den Plenum-Registrierungen erweist sich das Werk klanglich niemals als aufdringlich, bar unangenehmer Härten, wie man ihnen bei historisierenden „Kopien“ des 17. bzw. 18. Jahrhunderts leider öfter begegnet. Daneben veredelt eine vorzügliche, professionelle Aufnahmetechnik den klanglichen Gesamteindruck dieser Tonträgerveröffentlichung.
Von ähnlicher klanglicher Güte erweist sich die etwas kleinere zweimanualige, ebenfalls auf der CD dokumentierte Orgel aus der Werk­statt von Bernard Aubertin (erbaut: 1996) in der Kirche St-Martin von Vertus (mit Hamburger Prospekt!), wobei die vergleichsweise kam-mermusikalische Raumakustik den Klang intimer erscheinen lässt – was gerade auch bei einem so großdimensionierten Werk wie Bachs c-Moll-Passacaglia einen besonderen Reiz erhält. Benjamin-Joseph Steens scheut gerade bei diesem Werk keineswegs (dezente) Regis­terwechsel und entzieht sich so den stilistischen Extremen gewisser ideologischer Schulen und Richtungen. Der mit alter Musik durch seine Ausbildung und Tätigkeit bestens vertraute und stilistisch vielseitige Titulaire der Cattiaux-Orgel zu Reims zeichnet sich durch sein klares, unprätentiöses, im besten Sinne „objektivierendes“ Spiel aus, wobei er sich zumeist recht zügiger Tempi bedient.
Interessant an dieser Tonträger-Edition ist ebenso die Erkenntnis, dass inzwischen auch in Frankreich zunehmend neue „historisch inspirierte“ Orgeln gebaut werden, auf denen man auch deutsche Barockmusik – André Isoir hat in Reims, St-Rémi eine viel beachtete Buxtehude-Einspielung realisiert – ohne nennenswerte stilistische Abstriche plausibel aufführen kann.
Der CD ist neben einem informa­tiven Booklet auch eine DVD mit Bonusmaterial beigegeben, das manche Einblicke in die Biografie wie musikalische Vorstellungswelt des Interpreten gewährt.

Christian von Blohn