Werke von J. S. Bach, Thierry Escaich und Thomas Ospital

Bach ׀ Escaich: Convergences

Thomas Ospital an der Grenzing-Orgel im Auditorium Radio France, Paris

Verlag/Label: Tempéraments TEM 316060 (2018)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2018/03 , Seite 60

Bewertung: 5 von 5 Pfeifen

“Convergences” sucht Thomas Ospital (Jg. 1990), einer der beiden (jungen) Nachfolger von Altmeister Jean Guillou am Spieltisch von Saint-Éustache in Paris, auf der vorliegenden CD, „Annäherungen“ also. Oder auch „Brückenschläge“ über Generationen hinweg. Im Zentrum: J. S. Bach, genauer: dessen kontrapunktische Meisterschaft einerseits und Raffinement im Umgang mit choralbezogenen Themen andererseits. Dafür stehen in dieser Einspielung die Präludien und Fugen a-Moll (BWV 543) und G-Dur (BWV 541), der Choral Herzlich tut mich verlangen (BWV 727) sowie die Triosonate Nr. 2 c-Moll (BWV 526). Dazu Improvisationen von Thomas Ospital und die 2010 entstandenen Six Études-Chorals von Thierry Escaich, komponiert für das Ratinger Orgelbuch, das der dortige Kantor Ansgar Wallenhorst in „seiner“ rheinischen Gemeinde St. Peter und Paul initiiert hat.
Ospitals CD-Konzept überzeugt rundherum. Denn in der Tat glückt hier die versprochene „Annäherung“ vorzüglich. Escaich beispielsweise dokumentiert mit seinen Six Études-Chorals eindrucksvoll die Suche nach größtmöglicher Ausdeutung des Textes, wie wir sie von Bach her kennen. „Christ ist erstanden“ erinnert an „die Marter alle“, mündet in ein großes „Halleluja“, während in „Nun bitten wir den heiligen Geist“ flatternde Tongirlanden fraglos den Weg symbolisieren, den der gött­liche Geist in Gestalt der Taube hinab auf und in die Welt nimmt. Da sind Bach und Escaich in ihren Intentionen sehr dicht beieinander.
Visionen betitelt der jugendliche Maître Ospital seine fünf Improvisationen mit einer (Einzel-) Spielzeit von jeweils knapp zwei bis vier Minuten – jede von ihnen dichte Gedanken, gekleidet in fantastische, expressive Farben, von denen die knapp neunzigstimmige klangschöne Grenzing-Orgel im Grand Auditorium des neuen Maison Radio France in Paris eine Fülle bereithält: ein superbes, ja meisterliches Instrument, 2015 vollendet.
Und deren „Organist in Residence“ ist Thomas Ospital. Und auch er rekurriert, wie viele der berühmtesten Vertreter der großen Französischen Orgelschule seit dem 19. Jahrhundert vor ihm, auf Bach, fügt sich ein in die große Tradition jener Meister, die sich von den Buchstaben des Namens BACH haben inspirieren lassen. Was dabei herauskommt, zeigt die ganz persönliche Handschrift des Interpreten und öffnet die Ohren für spannende, einzigartige Klangerfahrungen! Die entstehen nicht zuletzt durch raffinierte Spielhilfen des Grenzing-Instruments wie Sostenuto-Funktion und variabel zu gestaltende Winddrücke. Vor allem aber dank der Kreativität von Thomas Ospital und seines mitunter „anarchischen“ Umgangs mit dem Instrument Orgel, wie man ihn etwa von Altmeister Louis Robilliard kennt …
Und Bach, das „Original“? Das kommt gut weg in der Lesart von Ospital. Es ist kein glatter, gar eleganter Durchgang durch die alt- und sattsam bekannten Partituren. Stattdessen ein „knorziger“ Bach, einer mit Ecken und Kanten, über den man diskutieren kann und sollte. Und das ist gut, wenn es um große Musik und ihre Interpretation geht!

Christoph Schulte im Walde