Werke von C. P. E. Bach, J. Ch. Kittel, Mozart, Mendelssohn, Karl Hoyer, Adolph Hesse, Brahms, Sigfrid Karg-Elert und Max Reger

Aufgefächert

Deutsche Orgelmusik zwischen 1750 und 1915

Verlag/Label: Organum OGM 201025 (2020)
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/01 , Seite 62

Christian-Markus Raiser an der Lenter-Orgel der Kleinen Kirche in Karlsruhe

Bewertung: 4 von 5 Pfeifen

„Auch kleine Dinge können uns entzücken“: Dieses aus Paul Heyses Italienischem Liederbuch entlehnte Motto sei hier einmal auf den Orgelbau angewendet. Denn ein „kleines Ding“ im Vergleich mit räumlich und klanglich ausladenden Kathedral- oder Konzertsaalorgeln ist das im Jahre 2019 von der Sachsenheimer Orgelbaufirma Lenter in Karlsruhe errichtete Instrument, genauer gesagt in der dortigen – als könne der Namen gar nicht anders lauten – „Kleinen Kirche“. Es wurde als Ersatz für die baufällig gewordene neobarocke Orgel der Firma Steinmeyer von 1950 errichtet, wobei die Herausforderung darin bestand, den Neubau in eine Raumnische von knapp zehn Quadratmetern Grundfläche einzupassen. Als Lösung dieses Problems entstand eine zwei Manuale und Pedal umfassende Orgel mit 21 Registern, wobei zudem durch die Anwendung von Transmissionen und Extensionen Platz gespart wurde.
Trotz dieser äußeren Zwängen geschuldeten Bescheidenheit kann die Lenter-Orgel mit einer Vielfalt an Klangfarben aufwarten, darunter als Spezialitäten eine durchschlagende Klarinette und ein Physharmonika-Register. Ihr ganzes Klangspektrum führt der Karlsruher Organist Christian-Markus Raiser auf der vorliegenden CD vor. Hierfür hat Raiser, der an der Disposition des Instruments maßgeblich mitbeteiligt war, unter dem Titel Aufgefächert (der auch auf die „Fächerstadt“ Karlsruhe anspielt) ein Programm mit „Deutscher Orgelmusik zwischen 1750 und 1915“ zusammengestellt. Unter Aussparung des Werks J. S. Bachs und älterer Meis­ter reicht die Werkauswahl von Carl Philipp Emanuel Bach über Mozart, Mendelssohn und Brahms bis in die Spätromantik zu Sigfrid Karg-Elert und Max Reger.
Mit kraftvollem Plenum eröffnet Raiser seinen Vortrag der D-Dur Sonate C. P. E. Bachs, gefolgt von mehrfach abgestuften Echoeffekten im kleingliedrigen motivischen Dialog. Charakteristische Solostimmen führt er dann erstmals in Johann Christian Kittels Praeludium Nr. IX in E-Dur vor, gefolgt von schwebend-verspielter „Musik ohne Unterleib“ in Mozarts Andante in F-Dur KV 616. Hier ertönt die Lenter-Orgel der ursprünglichen Bestimmung der Komposition gemäß wie eine mechanische Flötenuhr, freilich nicht in maschinell starrer, sondern empfindsam belebter Spielweise.
Diskografische Raritäten in der weiteren Werkfolge stellen insbesondere die Fantasie in e-Moll des Reger-Schülers Karl Hoyer sowie die Variationen über ein Original­thema in As-Dur von Adolph Friedrich Hesse dar. Ein wenig distant wirkt der Klang der Aufnahme, die sozusagen die akustische Perspek­tive eines entfernt sitzenden Hörers wiedergibt. Mustergültig ist es, wie im CD-Booklet die Disposition der Lentner-Orgel in der „Kleinen Kirche Karlsruhe“ und die – bis auf die Zählzeiten genau notierten – Regis­trierungen wiedergegeben sind.

Gerhard Dietel