Arundel Restored

Verlag/Label: Regent REGCD434 (2014)
erschienen in: , Seite 59
4 von 5 Pfeifen
 
Weder Gotteshaus noch Orgel können auf eine allzu lange Vergangenheit zurückblicken: Man schrieb das Jahr 1870, als der 15. Duke of Norfolk im südenglischen Ort Arundel (West Sussex) eine neue Kathedrale für das römisch-katholische Bistum errichten ließ. Die neugotische Basilika wurde 1868–73 nach Plänen von Joseph Hansom erbaut. Zugleich beauftragte der Stifter die Firma William Hill & Son, das Gotteshaus mit einer repräsentativen Orgel auszustatten. 
Da die Zeit drängte, griff das Haus Hill auf ein bestehendes Instrument zurück, das ursprünglich für die Saint-John’s Church in Islington erbaut worden war. Dieses wurde von zwei auf drei Manuale erweitert, um so den Auftrag pünktlich zur Einweihung der Kirche erledigen zu können. Diese Orgel, die neben den klassischen Chören mit zeittypisch-romantischen Zusatzre­gistern und sogar einer „spanischen“ Trombone ausgestattet war, zeigte rasch Schwächen in der Windversorgung. Mehrere Restaurierungen, die sowohl die Technik wie den Registerbestand modifizierten, führten zur letzten gründlichen Überarbeitung 2004–2006 durch die englische Orgelbaufirma David Wells aus Liverpool. Hierbei wurde nicht nur eine stabile Windversorgung er­­reicht, sondern das Instrument auch in seiner klanglichen Gestalt wieder dem romantischen Originalzustand der 1870er Jahre angenähert.
 In diesem „neu-alten“ Zustand präsentiert sich das Werk nun erstmals auch auf Tonträger in einer Einspielung des renommierten britischen Konzertorganisten Daniel Moult, die klangtechnisch eine geglückte Balance zwischen Raumhall und Durchhörbarkeit der Satzfaktur findet. Um die Hill-Orgel in ihren vielfältigen Möglichkeiten vorzuführen, wählte Moult ein typisches Mischprogramm, wie es im 19. Jahrhundert einer britischen Hörerschaft bei den allseits populären Town-Hall-Konzerten präsentiert worden sein könnte.
 Der einstimmig psalmodierende Beginn von Liszts Excelsior, gefolgt von feierlich-mystischen Akkorden, weist deutlich sakralen Bezug auf, bevor es im folgenden Programm eher weltlich-konzertant zugeht: zu­nächst mit Mendelssohns liedhaftem Thema mit Variationen in D und Mozarts ursprünglich für ein mechanisches Instrument bestimmter großer f-Moll-Fantasie KV 608. Die Orgel fungierte im 19. Jahrhundert – zumal in England – auch oft als Ersatzorchester, um den Zuhörern „große“ sinfonische Musik zu vermitteln. In diesem Geiste spielt Moult Edwin Lemaires um Originaltreue bemühte Orgeltranskrip­tion von Saint-Saëns’ Danse macabre und die freizügigere Bearbeitung von Händels Orgelkonzert Nr. 4 in F-Dur für Orgel solo aus der Feder von W. T. Best. Barock-Widerspiegelung aus romantischem Geist bietet er mit Charles Villiers Stanfords Fantasia und Toccata op. 57 und wendet sich dann der britischen Orgelmusik der Gegenwart zu: mit dem halb minimalistischen, halb toccatenhaften Wed­ding von Graham Fitkin, den Variations on a theme by Herbert Howells von Derek Bourgeois und dem vergnügt-überdrehten, von Latino-Rhythmen durchzogenen Brumba Paul Pattersons.
 
Gerhard Dietel