Dicke, Peter

Arbeitsbuch für junge Organisten

Verlag/Label: Schott, Mainz 2008, ED 20180
erschienen in: organ 2009/04 , Seite 57

In Zeiten des organistischen Nachwuchsmangels, in denen selbst die staatlichen wie kirchlichen Ausbildungsstätten um Studentenquoten bangen, in Zeiten von „Turbo-Abitur“ und flächendeckendem Internet-Zugang, in denen Jugendliche im­mer weniger Zeit finden für au­ßer­schulische Aktivitäten wie Mu­sik­unterricht, sinnen zahlreiche Kol­le­gInnen nach Strategien und Konzepten, wie ein drohender Kollaps in der Kirchenmusik angesichts einer zunehmend ausgedünnten Personal­decke überhaupt noch abgewendet werden kann. Nie war es so wichtig wie heute, scheint es, Kinder und Jugendliche möglichst früh an das Instrument Orgel heranzuführen. Der fromme Wunsch der Orgelpä­da­gogen lautet deshalb: Die Orgel solle aus ihrem sorgsam gehegten und geschützten Elfenbeinturm end­lich herauskommen und sich einem breiteren Pub­likum öffnen. So turnen Kollegen mit Puppen auf der Orgel herum, um die Orgel kindgerecht vorzu­stel­len, werden orgelspezifische Ak­tionsveranstal­tungen gezielt auf Kinder ausgerichtet …
Bisher fehlte allerdings eine geeignete Unterrichtsliteratur, um mit Kin­dern das „Orgelschlagen“ zu üben. Diese Lücke soll nun Peter Dickes Arbeitsbuch, das sich explizit an „junge Organisten“ wendet, schließen. Da fragt man sich zu­nächst vielleicht: Noch eine weitere Orgelschule? Reicht denn nicht der „Kaller“ oder „Keller“ oder wie sie alle heißen mögen, die Generationen von angehenden OrganistInnen viel­tausendfach hilfreiche Dienste leis­teten?
Das Arbeitsbuch für junge Orga­nisten will zunächst nicht – wie bei den genannten Orgelschulen – erste Übungen anbieten, die darauf abzielen, möglichst rasch einen Notentext zu erarbeiten. Dickes päda­gogisches Konzept besteht darin, komplexe Vorgänge auf einen einfachen Grundvorgang zurückzufüh­ren. So bestehen die ersten Übungen auch nicht aus „musikalischen“ Stücken, sondern aus Bewegungs­übungen, die die Koordination zwi­schen Füßen und Händen absichern sollen. Gerade dieses „Multitasking“ auf der Orgel steht am Beginn spielerisch einfach und pädagogisch sinn­voll am Anfang.
Nach diesen grundlegenden Übungen stellt Dicke kindgerecht einige musikalische Sätze mit selbstständigem Pedal zusammen, wobei natürlich – Robert Schumann lässt grü­ßen! – einprägsame kindgerechte Titel nicht fehlen dürfen wie Das Nikolauslied, Pferdchen oder Uh­ren­kanon. Die technischen Schwierigkeiten nehmen mit jedem Kapitel zu: leichte Vortragsstücke (wobei aus der „Kaller-Schule“ zitiert wird), die schon im Gottesdienst Anwendung finden könnten, sowie Literatur aus verschiedenen Epochen.
Dicke gibt nur die notwendigsten Informationen zum technischen Ab­lauf der Stücke sowie einige Vorschläge zur Registrierung: Das Arbeitsbuch will offensichtlich keine „Orgelschule“ sein oder gar ersetzen. Dennoch wären hier Angaben über Literatur, die den pädagogischen Ansatz Dickes aufgreift und weiterführt, durchaus sinnvoll gewesen.
Manche Werke des Arbeitsbuchs können auch in verschiedener Besetzung aufgeführt werden: So schlägt Dicke vor, in einigen Sätzen die Pedalstimme von einem Anfänger auf dem Cello spielen zu lassen etc.
Fazit: Das Arbeitsbuch eignet sich hervorragend von seinem pädagogischen Konzept her als Unterrichtswerk für sehr junge Organis­ten. Dass ein neues und zumal gänzlich neuartiges „Arbeitsbuch“ auch gewisse Defizite offenbart, soll nicht verwundern: So fehlt eine wie auch immer geartete Hinleitung zur Kunst des Choralspiels vollstän­dig, obwohl sich gerade im qualifizierten Nebenamt der organistische Nachwuchsmangel naturgemäß am deutlichsten zeigt. Dieses Kapitel sollte unbedingt bei einer Neuauflage bedacht werden.
Der Notentext gestaltet sich für die Kleinen lesefreundlich, ein minimalistisches Vorwort des Autors (mehr eine Ansprache an die jungen Spieler wie auch an die Lehrer und Leh­rerinnen) soll knapp in die Absicht des Buchs einführen (wobei bei einer Zweitauflage auch der Seitenzahlfehler behoben werden kann: Auf Seite 4, wie im Vorwort abgedruckt, befinden sich nicht Noten, sondern das Vorwort selbst).

Hannah Oelsnitzer