Olivier Latry
An der Orgel von Notre-Dame
Gespräche mit Stéphane Friédérich. Aus dem Französischen von Hendrik Burkard
“Wovon hier zu lesen ist – es lohnt in gleich mehrerlei Hinsicht. Denn wenn einer der ganz großen Organisten unserer Zeit erzählt, dann gerät die Themenpalette denkbar groß. Und darüber hinaus sind es ganz persönliche Aussagen, die die Lektüre des vorliegenden Bandes (2021 im französischen Original erschienen) so sympathisch machen.” (Gunther Diehl)
Wovon hier zu lesen ist – es lohnt in gleich mehrerlei Hinsicht. Denn wenn einer der ganz großen Organisten unserer Zeit erzählt, dann gerät die Themenpalette denkbar groß. Und darüber hinaus sind es ganz persönliche Aussagen, die die Lektüre des vorliegenden Bandes (2021 im französischen Original erschienen) so sympathisch machen. – Seit mehr als drei Jahrzehnten wirkt Olivier Latry als einer der Titularorganisten an der Kathedrale Notre-Dame in Paris, als Professor am Pariser Konservatorium und weltweit als Konzertorganist sowie bei internationalen Meisterkursen. Sein immenser Erfahrungsschatz bildet die Grundlage der hier dokumentierten Gespräche mit dem Musikjournalisten Stéphane Friédérich, dessen Frageimpulse das weite inhaltliche Spektrum behutsam strukturieren.
Im Zusammenhang von Nachfragen zu seiner musikalischen Ausbildung und dem Werdegang als Organist erzählt Latry zunächst und eindrücklich u. a. von der prägenden Zeit bei seinem Lehrer Gaston Litaize und davon, welch enorme emotionale Erschütterung es für ihn bedeutete, bereits 1985 als kaum 23-Jähriger auf eine der Organisten-Stellen an Notre-Dame berufen zu werden. Naheliegenderweise weiß er sodann viele Details zu berichten von „seinem“ Instrument, der großen Hauptorgel in Notre-Dame, von deren jahrhundertewährenden Organisten-Tradition und unzähligen Restaurierungs- und Modernisierungsmaßnahmen speziell seit den 1990er Jahren. (Eingangs und noch vor den eigentlichen Gesprächen formuliert Latry seine tiefgehende Betroffenheit angesichts der verheerenden Brandkatastrophe 2019; die Große Orgel hatte das Feuer zwar überstanden, ist nun aber ausgebaut und wird in jahrelanger Arbeit gereinigt.) Die Rede ist zudem und u. a. von Begegnungen mit und Einflüssen durch andere(n) Organisten, von eigenen Erfahrungen in Orgelwettbewerben und als Orgelpädagoge. Thematisiert werden schließlich auch Aspekte konkreter Spielpraxis und Improvisation im Gottesdienst genauso wie etwa perspektivische Fragen zur Zukunft und einer Popularisierung der Orgel (-musik).
Dies alles, das bringt die Sache mit sich, bezieht sich in seinen Erkenntnissen speziell auf die französische Orgelwelt; gleichwohl eröffnen sich immer wieder auch übertragbare Einsichten. Insbesondere beeindruckend aber ist, wie Olivier Latry von seinem Selbstverständnis als liturgischem Organisten und seiner insofern „dienenden Rolle“ spricht. Den Platz auf der Orgelempore erlebe er als „Begünstigter“, seine musikalische Berufung sehe er als „Mission zwischen den Welten des Alltäglichen und Spirituellen“. Gleichwohl heißt es einmal, auf eine – imaginäre – Visitenkarte ließe er drucken: „Olivier Latry – kämpferischer Organist“.
Solcherart und gesprächsweise (ergänzt durch illustrierende Fotografien) entsteht ein intensives Porträt des inzwischen sechzigjährigen gläubigen Menschen und engagierten Musikers. Das hier Nachzulesende macht unmittelbar deutlich, in welchem Maße profunde Professionalität und Leidenschaft, aber auch Respekt im Umgang mit all den Facetten (s)eines „Lebens für die Orgel“ im künstlerischen und spirituellen Wirken Olivier Latrys gleichberechtigt ineinandergreifen.
Gunther Diehl