Dag Wirén

15 Pieces

arranged for organ by Robert Gower

Verlag/Label: Gehrmans Musikförlag GE 13614
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2019/03 , Seite 58

Der britische Organist Robert Gower, der derzeit in Nottingham an der Kathedrale St. Barnabas tätig ist, ist ein sehr rühriger Künstler. Über seine Tätigkeit im Kirchendienst und als Konzertorganist hi­naus ist er bereits vielfach als He­rausgeber von Orgelmusik-Sammlungen hervorgetreten. Engagiert kümmerte er sich weiter darum, der Musik britischer Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Percy Whitlock, Gerald Finzi und William Walton zu größerer öffentlicher Aufmerksamkeit zu verhelfen. Mit der vorliegenden Ausgabe blickt Gower nun über dieses Repertoire hinaus, denn sie wendet sich dem schwedischen Komponisten Dag Wirén (1905– 86) zu.
Wirén, 1905 geboren, studierte zunächst Komposition, Klavier und Orgel in Stockholm, bevor er von 1931 bis 1934 seine Ausbildung in Paris fortsetzte. Diese Jahre, in denen er der Musik Honeggers und Strawinskys begegnete, wurden prägend für seinen Stil. Zusammen mit den gleichaltrigen schwedischen Musikern Lars-Erik Larsson, Gunnar de Frumerie und Erland von Koch bildete er eine lose Gruppe von Komponisten, die sich in Abkehr von der Romantik neoklassizistischen Schreibweisen zuwandten. „Ich glaube an Bach, Mozart, Nielsen und die absolute Musik“, formulierte Wirén einmal sein künstlerisches Credo und wandte sich in seinem Schaffen traditionellen Formen wie Sinfonie, Konzert und Streichquartett zu, die er mit seiner individuellen Klangsprache erfüllte.
Obwohl Wirén sein Orgelstudium am Stockholmer Konservatorium erfolgreich abschloss, trat er nie öffentlich als Organist in Erscheinung und komponierte auch keine Orgelwerke. Die vorliegende Pub­likation enthält folglich durchwegs Bearbeitungen von Klavier-, Kammer- und Orchestermusik, die Robert Gower geschickt arrangiert hat. Überwiegend handelt es sich dabei um kürzere Stücke, doch auch zwei ausgedehnte Sätze, die sich vor allem für den Konzertgebrauch eignen. Der eine von beiden ist das „Andante“ aus dem drittem Streichquartett, bei dem sich Wiréns spezielle “Metamorphosen“-Technik gut beobachten lässt: Ein Anfangsmotiv oder -thema erlebt im Verlauf des Satzes permanente Umwandlungen, so dass aus ihm ganz unterschied­liche musikalische Charaktere entstehen. Ähnliches gilt für das „Adagio“ aus Wiréns dritter Sinfonie, wo aus einem schlichten Grundeinfall – gegenläufigen Skalenbewegun-gen – eine umfangreiche Architektur entwickelt wird.
Weit einfacher auf der Orgel zu realisieren sind etwa Absent Friend, eine Lied-Adaption, die wie ein lyrisches Stück der Romantik wirkt, und die kurzen, aber pfiffigen Teile der ursprünglich für Gitarre bestimmten Little Serenade. Wer neoklassizistisch angeschärfte Harmonien liebt, wird gerne zu Wiréns Ironical Miniatures greifen, und nicht fehlen darf unter Robert Gowers Transkriptionen natürlich die „Marcia“ aus der Serenade for Strings: jener eine große „Hit“, den Wirén zu Lebzeiten landete und der leider der Verbreitung seiner anderen Kompositionen hindernd im Weg stand.

Gerhard Dietel