Otto Dienel
10 Orgelkompositionen
Orgelwerke, Band 7, hg. von Hans-Peter Bähr
“Otto Dienel ist ein origineller Orgelkomponist, dem zu wünschen ist, dass sein Name in Zukunft wieder häufiger in Konzertprogrammen erscheint. Sein Werk ist ein interessanter Bestandteil der deutschen Orgelromantik, und die neue, bis jetzt sieben Bände umfassende Werkausgabe sollte in keiner Bibliothek an Musikhochschulen und Kirchenmusikschulen fehlen.” (Rainer Mohrs)
Vielleicht geht es Ihnen ähnlich? Der Name Otto Dienel ist mir bisher noch nicht begegnet, weder in Konzertprogrammen noch in der Fachliteratur. Umso spannender ist es, sich mit diesem Künstler auseinanderzusetzen. Der Blick in das informativ geschriebene Vorwort zeigt: Der in Schlesien geborene Otto Dienel (1839–1905) war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein durchaus respektabler Organist, Komponist und Musikpädagoge.
Nach Studien am Königlichen Institut für Kirchenmusik und der Königlichen Akademie der Künste bei den Zelter-Schülern August Bach und August Grell sowie den bekannten Klavierpädagogen Alfred Löschhorn und Wilhelm Taubert blieb er in Berlin und wirkte von 1869 bis 1905 als Organist an der evangelischen Marienkirche, nebenher von 1877 bis 1897 als Musiklehrer am Königlichen Seminar für Stadtschullehrer: Hier zählte kein Geringerer als der spätere Thomaskantor Karl Straube zu seinen Schülern. Die meisten seiner rund vierzig Orgelwerke erschienen im Londoner Musikverlag Novello.
Diese erste Annäherung macht deutlich: Hier geht es um einen zu Unrecht vergessenen Orgelkünstler, dessen Orgelmusik wiederzuentdecken und in Neuausgaben zu edieren sich lohnt. Der Butz-Verlag hat sich dankenswerterweise dieser Aufgabe angenommen, und Verlagsinhaber Hans-Peter Bähr legt hier bereits den 7. Band der Orgelwerke Dienels vor.
Zu den zehn ausgewählten Werken gehören zunächst drei kurze Choralvorspiele: „Eins ist Not! Ach Herr“, „Es ist das Heil uns kommen her“, „Ein feste Burg ist unser Gott“. Sie sind gut im Gottesdienst einsetzbar und abwechslungsreich gesetzt, der cantus firmus liegt stets im Pedal. Alle anderen Stücke sind freie Werke, die sich fürs Konzert eignen, die ruhig-meditativen Stücke auch für die Liturgie.
Interessant ist Dienels Concert-Fuge in c-Moll für volles Werk opus 1. Interessant, weil er sich der Form der Fuge auf eine sehr freie und kreative Weise annähert. Wenn – so jedenfalls das Lehrbuch – eine Fuge mit einer Stimme beginnt und anschließend das Thema, begleitet von Kontrapunkten, durch die anderen Stimmen wandert, dann wäre Dienels opus 1 keine Fuge, sondern eher eine Art „Concerto grosso“, das zwar polyphon und kontrapunktisch strukturiert ist, bei dem aber vom ersten bis zum letzten Takt immer alle Stimmen gleichzeitig erklingen. Auch der Begriff des „obligaten Kontrapunkts“, der ja bei manchen Fugen das Thema gleich von Beginn an begleitet, hilft hier nicht weiter: Einen solchen permanenten Kontrapunkt gibt es nicht. Trotzdem ist dies ein sehr dankbares Stück, eben eine Konzert-Fuge: brillant, eingängig und wirkungsvoll. Ein mutiges, unkonventionelles Erstlingswerk, das den Begriff „Fuge“ frei auslegt: Das Thema ist omnipräsent, aber es wird öfters homophon begleitet, von Anfang an frei verarbeitet und in seine einzelnen Motivbausteine zerlegt, wie in Sonate oder Sinfonie.
Weitere reizvolle Stücke Dienels sind das Echo-Andante op. 19, ein lyrisches Stück, das mit schönen Echowirkungen zwischen Hauptwerk und offenem bzw. geschlossenem Schwellwerk spielt, zwei cantable Adagios op. 26 (As-Dur) und op. 29 (D-Dur), ein Allegretto cantabile op. 35 (G-Dur) mit Pastorale-Charakter sowie das prachtvolle Festpraeludium op. 21 (D-Dur). Alle Notentexte beruhen auf den Erstdrucken und überliefern die originalen Registerangaben.
Fazit: Otto Dienel ist ein origineller Orgelkomponist, dem zu wünschen ist, dass sein Name in Zukunft wieder häufiger in Konzertprogrammen erscheint. Sein Werk ist ein interessanter Bestandteil der deutschen Orgelromantik, und die neue, bis jetzt sieben Bände umfassende Werkausgabe sollte in keiner Bibliothek an Musikhochschulen und Kirchenmusikschulen fehlen.
Rainer Mohrs