Anton Heiller spielt Orgelwerke von Max Reger

Anton Heiller Edition Vol. 1, Marcussen-Orgel im Mariendom zu Linz (Österreich)

Verlag/Label: Ambiente ACD-4001 (2019)
erschienen in: organ – Journal für die Orgel 2020/03 , Seite 61

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Bis heute gelten die längst ver­griffenen und nur noch als LPs in Privatsammlungen und Musikarchiven überlieferten Einspielungen des Wiener Organisten und langjährigen Orgelprofessors der Wiener Mu­sikuniversität Anton Heiller (1923 –79) aus den 1950er bis 70er Jahren als Referenzaufnahmen für Orgelinterpretationen neueren Stils. Umso erfreulicher ist die auf Initiative der Familie (die auch eine sehr informative Homepage, https//:anton-heiller.com, betreut) entstan­dene Wiederauflage der erstmals 1973 bei ERATO als Teil der Reihe „L’encyclopédie de l’orgue“ erschienenen Zusammenstellung von Reger-Werken – erst 2017 in Paris als originales Mastertape wiederentdeckt.
Neben J. S. Bach (für die Folge-Volumes der Reihe geplant) gehörte Reger zu den von Heiller favorisierten und in zahlreichen Konzerten aufgeführten Komponisten. In seinem Zugang zu Reger lässt sich der Dirigent und Komponist nicht verbergen: Fern aller bei Reger-Interpretationen häufig anzutreffenden Romantizismen arbeitet der Organist die musikalisch-harmonische Architektur mittels dynamischer, struktureller und agogischer Feinheiten gerade in der großen Fantasie und Fuge in d-Moll op. 135b heraus.
Dabei kommt ihm die klassische Disposition der mechanischen viermanualigen Linzer Mariendom-Orgel mit ihren 70 Registern (bis zum Bau der Birminghamer Bridge­water Concerthall-Orgel war es Marcussens Werk mit den meisten Registern) entgegen. Der dänische Orgelbauer schuf damit ein solitäres Dokument der postromantischen Orgelreform in Österreich. Dessen majestätische Klangfülle, ihr transparenter Farbenreichtum und ihre unglaublich flexibel einsetzbaren dynamischen Möglichkeiten spielt Heiller in brillanter Weise besonders in der zentralen Komposition der CD, der Choralfantasie über „Wachet auf, ruft uns die Stimme“, aus. Mithilfe von zwei Registranten gelingen ihm quasi stufenlose, vom Komponisten intendierte Dynamikschattierungen. Schließlich löst Heil­ler sein Credo „Du musst lernen, mit der Orgel zu singen“ in der „Pastorale“ und im „Benedictus“ aus den Zwölf Stücken op. 59 als stilbildendes Motto ein.
Wer Roman Summereders instruktive Ausführungen zu Heiller und seiner Sozialisation in der Wiener Orgelgeschichte und -landschaft im Booklet liest, versteht, dass die CD als Dokument ersten Ranges für Regers Rezeptionsgeschichte weit über Österreichs Grenzen hinaus anzusehen ist. Im Beiheft wird auch auf Heillers komplett mit Eintragungen und Registrierungen überliefertes Spielexemplar der Choralfantasie „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ der Aufnahme von 1972 hingewiesen, das im 2018 publizierten Band Organum XX. Stationen österreichischer Orgelkunde im 20. Jahrhundert der Wiener Musikuniversität veröffentlicht wurde und über QR-Code abrufbar ist – eine wertvolle Bereicherung für alle Orgelaffinen.

Ulrike Aringer-Grau