Susteck, Dominik

Zwischenklänge für Orgel solo

Verlag/Label: Bärenreiter (Reihe organova) BA 11045
erschienen in: organ 2013/03 , Seite 63

Mit Zwischenklänge für Orgel hat Dominik Susteck, seit 2007 Organist an der Kunst-Station Sankt Peter in Köln, den ersten Preis beim 11. Kompositionswettbewerb Zeitgenössische Geistliche Musik 2012 in Schwäbisch Gmünd gewonnen. Ausgangspunkt des Stü­ckes ist, wie oft bei den Werken Sustecks, eine Strukturidee, die aber, indem sie kompositorisch entfaltet wird, poetische Qualitäten offenbart.
Auffällig sind zunächst die irregulären bis „irrationalen“ Rhythmen, die als Tonrepetitionen (später auch als repetierte Akkorde und Cluster) prominent hervortreten und das ganze Stück tragen. Der Komponist zielt dabei auf natürliche, organische Rhythmen – er selbst nannte in einem Interview Wassertropfen als Beispiel –, die in herkömmlichen metrischen Kategorien nicht erfassbar sind; insofern handelt es sich hier bereits um „Zwischenklänge“, indem sie sich zwischen den Taktschlägen ereignen. Zwar wechselt das Metrum mitunter von Takt zu Takt, doch hält die Komposition strikt an der Viertelnote als Grundeinheit fest – statt 7/8 oder 9/8 findet man etwa 3 ½/4 oder 4 ½/4.
Das zweite wichtige Element – die eigentlichen Zwischenklänge – sind die Vorschläge, teils kurz, teils als ausgedehnte melodische Fiorituren, die das musikalische Geschehen mit ihren ganz anders gearteten Bewegungsimpulsen immer wieder durchbrechen und selbst noch die „Regularität des Irregulären“ aufheben. Hinzu kommen als drittes Element lange, gehaltene Cluster, die ihrerseits das Zeitgefühl irritieren.
Es geht in der Komposition also um das Durchbrechen rein rational quantifizierter, getakteter Zeitabläufe: Nur in ihren Zwischenräumen kann sich Leben entfalten. Die Zwischenräume und die in ihnen sich ereignenden Klänge lassen hinter der durchorganisierten Zweckrationalität unseres täglichen Lebens den Horizont des Transzendenten aufscheinen. Darum hat Susteck seine initiale Idee auch nicht als spröde Rhythmusstudie gestaltet, sondern das musikalische Geschehen subtil illuminiert und gleichsam „in Szene gesetzt“. Mehr als das: In Passagen wie dem mo­saik­artigen Manualwechsel bei Ziffer D1 und, unmittelbar danach, dem bezaubernden Wechselspiel zarter Glo­cken- und Flötenklänge sind Struktur und Klangfarbe nicht voneinander zu lösen. Sie setzen allerdings die Möglichkeiten einer farbigen dreimanualigen Orgel voraus. Die genauen Angaben zur Registrierung beziehen auch Schlagwerkregister ein; Alternativen sind angegeben. Dennoch ist die klangfarbliche Gestaltung der Zwischenklänge kaum weniger anspruchsvoll als ihre komplexe Rhythmik.

Ingo Dorfmüller