Graap, Lothar (*1933)

Zwei Psalmkonzerte für zwei Singstimmen und Orgel

Verlag/Label: Edition Dohr 15266
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 60

In Schweidnitz (heute Swidnica/ Polen) geboren, in Görlitz kirchenmusikalisch ausgebildet, amtierte Lothar Graap über vierzig Jahre als Kantor und Organist in Cottbus (1981 Kirchenmusikdirektor). „Seit 1998 wohnt er in Schöneiche bei Berlin im Ruhestand“, so eine biografische Notiz – das trifft höchs­tens bis zu einem gewissen Grade zu, denn er betätigt sich als sehr fleißiger Komponist, mithin im „Unruhestand“. Sein Werkverzeichnis wird in Kürze die Opuszahl 1000 registrieren.
Ökumene hat bei Lothar Graap immer eine Rolle gespielt, was sich unter anderem an Vertonungen von Melodien aus dem Gotteslob wie O himmlische Frau Königin zeigt. Hier werden sechs Miniaturen (Präambulum, Satz I, Bicinium, Caprice, Arietta, Satz II) zu einer „Fantasie“ gebündelt. Variable Satzdichte (a 2, a 3, a 4) und gefällige melodische Wendungen bzw. kantabler Tastensatz stehen ganz im Dienst des Ausdrucks. Der Cantus firmus gibt sich dem Hörer in mannigfachen Abwandlungen meist gut zu erkennen.
Der nebenamtlichen Organisten­praxis voll und ganz verpflichtet sind die Variationen über So nimm denn meine Hände und Stern, auf den ich schaue; sie sind laut Vorwort „nach wie vor bei Trauerfeiern gefragt“ und „können ganz oder in beliebiger Auswahl verwendet werden“. Die Satzbeischriften „Sehr ruhig und verhalten“, „getragen“, „lebhaft“, „majestätisch“, “gehend, mäßig bewegt“ machen deutlich, dass diese Musik emotional berühren will, was mit schlichten, aber stilvollen Mitteln durchweg gelingt. Obwohl vom Blatt spielbar, weisen die jeweils in sich abgeschlossenen Stücke genügend Substanz auf, um als anregende und abwechslungsreiche Folgen wahrgenommen zu werden. Dahinter steckt langjährige Erfahrung und eine besondere Liebe zu offener Satzgestaltung, bei der Hornquinten und ein sinnvoll finali­sierender Quartsextakkord dieselbe Chance erhalten wie Einklang, Kadenz und figurierter Kantionalsatz. Pedalspiel ist nur bei „Cantus“ und „Nachspiel (festlich)“, dem Eingang und Schluss­satz der sechsteiligen Partita O Jesu Christe, wahres Licht, erforderlich.
Zwei nicht näher charakterisierte Singstimmen, notiert in Sopran- und Altlage (überwiegend im mittleren Bereich, seltene Spitzentöne f’’ und g’’, Tiefton h°) konzertieren über zwei allgemein verwendbare Psalmtexte „Halleluja! Lobet den Herrn“ (Psalm 147, Auswahl) und „Ich rufe von ganzem Herzen“ (Ps. 119, Auswahl). Schlichte, aber intensive Deklamation steht im Mittelpunkt, für begabte Laien schaffbar, weil Virtuosität nicht gefordert wird. Die Grundierung des Vokalparts durch die Orgel (manualiter) erfolgt in dezenten Harmonien, entschieden gewürzt mit jenen Dissonanzen, die nicht der traditionellen Tonsprache entstammen, wo sie vorbereitet und aufgelöst werden müssen – diese Klangmischungen genügen sich selbst, sie tönen das Klangbild angenehm „modern“ (Wilhelm Keller sprach 1957 bei dieser Harmonik von „Personanzen“).
Unspektakulär und dennoch anspruchsvoll in der Zuwendung an den Hörer, dürfte sowohl den Choralbearbeitungen als auch den Gesangsstücken bzw. Psalmvertonungen eine geschätzte Aufnahme in der Organistenpraxis sicher sein.

Klaus Beckmann