Rieger, Diana

Zur Aktualität klassischer Orgelschulen

Evaluation – Akzeptanz – Ausblick

Verlag/Label: Peter Lang, Frankfurt am Main 2014, 187 Seiten, 39,95 Euro
erschienen in: organ 2014/04 , Seite 58

Nach Andrea Kumpes glänzender didaktischer Veröffentlichung über Orgelunterricht für Jugendliche und Erwachsene vom Jahresbeginn nun eine weitere mit großem methodischen Spürsinn und interessanter Quellenvermittlung angelegte Studie über klassische Orgelschulen. Die Nieder-Mooser Dekanatskantorin Diana Rieger vermittelt im Rahmen ihrer am Fachbereich „Lehrämter und Komposition“ der Musikhochschule Frankfurt/Main entstandenen Doktorarbeit eine umfassende Analyse und Wertung klassischer Orgelschulen.

Sie diskutiert im ersten historischen Teil der Publikation (hier vom ausgehenden 18. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts) Orgelschulen von Justin Heinrich Knecht (1795–98), Johann Leberecht Kittel (1808), Johann Christian Heinrich Rinck (1829–31 und 1838–39), Jac­ques-Nicolas Lemmens (1862), Marco Enrico Bossi (1893/97?), Louis Vierne (1913), Marcel Dupré (1927), Charles Tournemire (1936 und 1949) und Fernando Germani (1939-49). Deren Stellung und orgelpädagogisch-zeitgebundene Relevanz werden ergänzt durch ausführliche Sekundärliteratur und zeitgenössische Aussagen. Der Leser erhält präzise Informationen über me­thodische Details wie Applikatur, Gestaltungskriterien und spieltechnische Auszüge der einzelnen Schulen sowie tabellarische Auflistungen von Literaturstücken.

Rieger stellt in ihrer Zusammenfassung des ersten Teils fest, dass die fortschreitende heutige Arbeit an historischer Aufführungspraxis für Orgelschüler, Orgelstudenten und Orgellehrer unabdingbare Voraussetzung ist, sich mit diesen historischen Orgelschulen [natürlich auch mit Orgeltraktaten von Gotik bis Barock, Anm. d. Rez.] zu beschäftigen, um größtmögliche Authentizität bei Studium und Interpretation der jeweiligen Orgel­literatur einzuhalten und somit eine neue modernitas im Rückgriff auf die Entwicklung des Orgelspiels und heutige Anforderungen an einen zeitgemäßen Orgelunterricht zu gewinnen. Kreativität und quellenkritische Beschäftigung auf den jeweils gegebenen Stufen der Orgelpäda­gogik seien angesagt, um dem musikalischen Kunstwerk in objektiver Annäherung gerecht werden zu können.

Im 2. Teil der Veröffentlichung (hier als „Anhang“ ausgewiesen) erstellt die Autorin ein kurz gefasstes, kommentiertes und wegweisendes Verzeichnis von Orgelschulen des 19. (G. Castelli/V. A. Petrali [1862], W. Th. Best [um 1869]) und des 20. Jahrhunderts (F. Peeters [1953], F. Viderø [1963], R. Falcinelli [1971], H. Tachezi [1973], J. Langlais [1984], D. Sanger [1990–93], J. Faucheur [2000], B. Kraus [2009], P. Dicke [2010] und J. M. Michel [2010]).

Weiter bietet die mit Detailtreue und praxisnahem Zugriff erstellte Schrift tabellarische Übersichten der im Hauptteil untersuchten Orgelschulen sowie ausgewählte Titel- und Notenseiten (deren Faksimiles ruhig umfangreicher hätten aufgenommen werden können) sowie ein umfangreiches Literaturverzeichnis und Personenregister. Das Buch sollte in jeder Bibliothek eines sich mit Praxis und Theorie des Orgelspiels beschäftigenden Lesers (Lehrers) vor­handen sein. Rieger macht uns neugierig auf eine mögliche Fortsetzungspublikation über Orgelspielpraxis im Bereich der „wirklich“ Alten Musik.

Wolf Kalipp