Zipoli in Diamantina

Complete Organ Works (by Domenico Zipoli). Marco Brescia an der Almeida e Silva-Orgel (1787) von Diamantina, Brasilien

Verlag/Label: Paraty 269189
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2020/04 , Seite 56

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Domenico Zipoli gehört zu den in seiner Zeit hochgeschätzten und auch heute noch viel gespielten Orgelkomponisten des italienischen Barockzeitalters. Der 1688 im toskanischen Prato geborene Musiker pflegte Umgang mit den Großen seiner Zeit, wie beispielsweise dem Neapolitaner Alessandro Scarlatti oder dem Römer Bernardo Pasquini. 1710 konnte er das Amt des Organisten an Santa Maria di Trastevere übernehmen und trat im selben Jahr auch dem Jesuitenorden bei. 1717 reiste er als dessen Missionar nach Südamerika, wo er sich in der Nähe von Cordoba (Argentinien) niederließ. Dort verfolgte er weiterhin seine Studien in Theologie und Philosophie, starb allerdings schon 1726 an Tuberkulose, kurz bevor er seine Weihe zum Priester erhalten hätte.
Sowohl in Italien als auch in Südamerika erfreute sich Zipoli als Musiker besonders hoher Wertschätzung, wahrscheinlich auch aufgrund seiner 1716 in Rom veröffentlichten Sammlung mit Musik für Orgel und Cembalo Sonate d’intavolatura Op. 1. Die für den Gebrauch an der Orgel bestimmten Stücke setzten sich aus in Suiten gegliederten Toc­caten, Canzonen, Versen und – vor allem dem liturgischen Bedarf geschuldeten – „Einlagen“ unter Titeln wie Al post communione oder All’ elevazione zusammen. Auch heute noch werden gerne „Highlights“ wie die so liebenswürdige Pastorale musiziert. Die Faktur der Werke ist allermeist zweistimmig angelegt; sti­lis­­tisch lässt sich Zipolis Tastenmusik ähnlichen Werken aus der Feder von Bernardo Pasquini zuordnen, ein gewisser Zug ins „Galante“ hebt sie allerdings von diesen ab.
Der in Italien geborene, heute in Portugal und Brasilien lebende Organist und Cembalist Marco Brescia hat für seine Einspielung unter dem Titel Zipoli in Diamantina eine ganz außergewöhnliche Orgel verwendet, die 1787 vom einheimischen Orgelbauer Almeida e Silva in der Kirche Nossa Senhora do Carmo in Diamantina (Bundesstaat Minas Gerais, Brasilien) fertiggestellt worden war. Das Instrument ist die wohl älteste erhaltene, im Lande selbst erbaute Orgel Brasiliens. Ihre Disposition unterwirft sich grundsätzlich den Normen, die man aus dem zeitgenössischen italienischen und spanischen Orgelbau kennt. Neben den als „Ripieno“ zu verstehenden prinzipalischen Regis­tern gibt es auch zwei Flöten- und eine Zungenstimme (Sordo). Inte­ressant ist der Tastenumfang der Orgel, der sie als 12- bzw. 6-Fuß-In­strument ausweist. Der Klang der einzelnen Register ist warm, sprechend und farbig, die unterschiedlichen Plena klingen füllig und strahlend, sie sind dank der verhältnismäßig trockenen Akustik der Kirche besonders transparent.
Marco Brescia widmet sich in seinem Einführungstext mit Hingabe der Geschichte und Bedeutung dieser Orgel im Kontext der Orgelmusik dieser Epoche in den südamerikanischen Kolonien. Mit Gespür für Klang, Artikulation und Wirkung musiziert er die Musik Zipolis sehr überzeugend. Als „Zu­gabe“ sind der CD noch einige Stü­cke beigefügt, die einem bolivianischen Konvolut von 1746 entstammen und Zipoli als Kompo­nisten vermuten lassen.

Christian Brembeck