Giovanni Maria Casini (1675–1719)

XII Pensieri per l’organo – Opera Terza

hg. von Jolando Scarpa

Verlag/Label: Edition Walhall EW1187
erschienen in: organ - Journal für die Orgel 2021/04 , Seite 60

In dem zur Rezension vorliegenden ersten Band mit sechs von XII Pensieri per l’organi in Partitura hat der Herausgeber Jolando Scarpa zu den bereits vorhandenen Ausgaben von Armando Carideo (Il levante Libreria Editrice) bei edition baroque, Ricordi und einigen Einzelausgaben eine weitere Neuedition unternommen. Schon der Titel und die Partiturnotation in vier Systemen der jeweils in ein bis drei Tempi unterteilten Pensieri legen nahe, dass Casini mit der 1714 in Florenz bei Jacopo Giudicci gedruckten Veröffentlichung primär keine liturgische oder konzertante Verwendung anstrebte.
Im aufschlussreichen Vorwort beschreibt der Herausgeber die philosophisch-humanistische Bildungsschicht, in der der 1676 zum Pries­ter geweihte und bei Nicola Sapiti sowie bei Francesco Nigetti, Domorganist von Prato und Florenz, ausgebildete Casini sich bewegte. Nigetti hatte ein mit fünf Klaviaturen versehenes cembalo onnicordo* auf der musiktheoretischen Grundlage der Intervallstudien von Nicola Vicentino und Vicenzo Galilei erbauen lassen, welches Casini erfolgreich zu spielen wusste. Nach dem Tod Nigettis folgte Casini seinem Lehrmeister als Titularorganist des Florentiner Doms Santa Maria del Fiore nach.
Die fast ausnahmslos imitatorisch beginnenden Einzelsätze (Tempi) pendeln des Öfteren zwischen einer zwei- oder dreistimmigen kunstvollen Polyphonie, die sich erst gegen Ende der Einzelsätze dauerhaft in der Vierstimmigkeit festigt. Neben den weit verbreiteten Themen im Hexachord-Umfang werden auch von Pausen durchsetzte Soggetti artifiziell verarbeitet und können mit geistigem Gewinn dem häuslichen Studium der Polyphonie dienen. Die moderate Chromatik dieser spieltechnisch nicht einfachen Sätze kann auf mitteltönigen Instrumenten weitgehend spannungsfrei realisiert werden; wo idealerweise aber auch gedoppelte Semitonien vorhanden sind, lässt sich die Harmonik noch authentischer im Sinne des Lehrmeisters Nigetti abbilden.
Die tadellose Ausgabe dieses mu­sikalischen hortus occlusus bietet ein großzügiges, einladendes Druckbild; allerdings wären zusätzliche Faksimiles des Frontispizes und zumindest einer Seite mit der Partituranordnung sowie Hinweise, ob der Druck von 1714 ein lehrreiches Vorwort enthielt, zu ergänzen.

Josef Edwin Miltschitzky

Anmerkungen: Giovanni Maria Casini (1675–1719) – Das Geburtsdatum ist hier falsch angegeben; aber im Vorwort ist die korrekte Jahreszahl 1652 aufgeführt.
* „Il cembalo onnicordo di Francesco Nigetti in due memorie inedite di G. B. Doni (1647) e B. Bresciani (1719)“, in: Rivista Italiana di Musicologia XXII (1987), S. 34–113.