Hölszky, Adriana

Wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt

Orgelwerke

Verlag/Label: Wergo WER 67892 (2014)
erschienen in: organ 2014/03 , Seite 53

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„Nicht dass ich denke, ich mache Musik“, bekannte Adriana Hölszky, die seit 1976 in Deutschland lebt und bei Milko Kelemen in Stuttgart Komposition studierte, in einem Interview. „Das wäre für mich störend. Man muss weg vom eigenen Strom, um sich immer neu in Gefahr zu bringen.“ Womit sie erstmals 1983 bei den Weltmusiktagen in Århus/Nordjütland auffiel. Den Durchbruch brachte ihr die Oper Bremer Freiheit, 1988 bei der ersten Münchner Biennale uraufgeführt.
Wer von Musik mehr erwartet als Besänftigung, dem öffnet Adriana Hölszky unerhörte Klangräume, die sich in unterschiedlichen Erlebniszeiten „abspielen“, teils überlagern und scheinbar widersprechen. Ihre Tonwelt ist komplex und zugleich bis ins Feinste präzisiert. Ihr Wahrnehmungsinteresse gilt der discordia concors, dem Aufeinandertreffen wi­dersprüchlicher Wirklichkeiten. 
Gewaltige Bilder von Licht und Farbe wechseln in ihrem Orgelstück … und ich sah wie ein gläsernes Meer, mit Feuer gemischt … (1996/97) von Augenblick zu Augenblick mit geheimnisvollen, ruhenden Momenten, die sich wie Spaltöffnungen zu anderen Dimensionen verhalten (O-Ton Adriana Hölszky). Eine apokalyptisch anmutende Klangszene, die dem Hinterglasbild Der Blitz nahe kommt, das ihre Zwillingsschwester als Cover Art beisteuerte. Bild und Musik lassen an ein kosmisches Ereignis denken. 
Auch in Efeu und Lichtfeld für Violine und Orgel (2008) verbindet sich Widersprechendes. Pulsierenden Lichtquellen gleich treffen Klangfelder der Orgel – metaphorisch verstanden – auf den immergrünen Bodendecker und Kletterer. Wie mit dem Stichel angeritzt springen Lautpartikel der Violine ins Ungemessene. Und doch halten sich die vermeintlich unvereinbaren Klangsphären im labilen Gleichgewicht. 
Vom „blitzartigen Entbergen des Sinns“, der sich alsbald wieder verflüchtige, spricht Ingo Dorfmüller angesichts der Komposition … und wieder Dunkel I für Schlagzeug und Orgel (1985/90) im Beiheft. Inspirationsquelle des vierteiligen Werks ist das Gedicht Ein Wort von Gottfried Benn, genauer: die zweite Stro­phe. Ihr entnimmt die Komponistin einzelne Donnerworte und Versfragmente („Feuer“, „Flammenwurf“, „Sternenstich“, „und wieder Dunkel“, „im leeren Raum um Welt und ich“), denen sie in wechselndem Annähern und Entfernen, Verflechten und Entbinden, Aufblitzen und Verlöschen nachspürt. 
Alle Aufnahmen entstanden in Koproduktion mit dem Deutschlandfunk in der Kunst-Station Sankt Peter zu Köln. Chor- und Hauptorgel bieten schöpferischen Geis­tern einen mächtigen klangfarblichen Fundus, den ihr Meister Dominik Susteck souverän bedient. Vertrackte Rhythmen und rasch wechselnde Vortragsangaben schre­cken ihn ebenso wenig wie herbe Tontrauben und geräuschhafte Entäußerungen mit Hand und Fuß. Die auf zeitgenössische Tonlagen geeichte Geigerin Sabine Akiko Ah­rendt und der vielseitige, auch als Jazz-Percussionist und Improvisator versierte Schlagzeuger Jens Brülls glänzen als Partner und Widersacher der eigensinnigen Königin Orgel.
 
Lutz Lesle