J. S. Bach / Franz Liszt
„Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“
Zwei Vorspiele für Orgel, bearbeitet von Harald Feller
Harald Fellers Bearbeitung der Sinfonia zu Bachs Kantate „Weinen, Klagen“ ist schon eine kleine Herausforderung. Zwar sind es nur überschaubare 16 Takte, doch die haben es in sich. Zumal wenn man die Spielanweisung des Bearbeiters beherzigen will: „Die kontrapunktisch verlaufenden Stimmen sollen zeichnend registriert und gleichzeitig gesanglich gespielt werden.“
Gar nicht so einfach, da Feller die polyphonen Gegenstimmen zur reichlich verzierten Melodie allesamt in die linke Hand gelegt hat. Die saubere gesangliche Ausführung der Sechzehntel-Seufzermotivik in Terzen bzw. Sexten der Violinen mit ihren dichten Legato-Bögen wäre für sich alleine nicht das Problem, müsste dieselbe Hand nicht gleichzeitig auch noch die unentwegt pochenden Achtel der Violen übernehmen. Eine große Spanne der Hand ist bei diesem Stück sicher von Vorteil, doch wird das Einstudieren insbesondere der linken Hand mitunter viel Weinen und Klagen verursachen.
Es war vermutlich der unendliche Schmerz über den allzu frühen Tod seines Sohnes Daniel im Jahr 1859, der Franz Liszt zur Komposition seines Präludiums über „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ nach J. S. Bach veranlasste. Dieses Werk ist in Form einer Passacaglia über das chromatisch absteigende viertaktige Thema aus der Kantate BWV 12 angelegt. Zwar existiert eine Orgelfassung von Alexander Winterberger, die in weiten Teilen jedoch erheblich von der später gedruckten Klavierfassung abweicht. Da Letztere aber in ihren bewegten Teilen virtuoser und in ihrer Dramatik effektvoller wirkt, hat Harald Feller dies zum Anlass genommen, eine neue Transkription zu erstellen. Das Ergebnis ist durchaus als Bereicherung zum gängigen Liszt-Orgelrepertoire zu betrachten, zumal es sich um eine relativ kompakte und überschaubare Komposition handelt, die auf engstem Raum alle Spezifika Lisztscher Klavieristik beinhaltet. Damit sicherlich auch ein geeigneter „Einstieg“ in die Welt der großen Liszt-„Schinken“.
Wolfgang Valerius