Zacher, Gerd
Vocalise (1971) für Orgel
Gerd Zachers (geb. 1929) Vocalise für Orgel entstand bereits im Dezember 1971 und gehört zu seinen eindringlichsten und konsequentesten Stücken. Obwohl sich die Musik keineswegs dramatisch oder aufwühlend gibt, repräsentiert sie gleichwohl einen klar ausgeführten kompositorischen Gedanken: Das Schwellwerk der Orgel mit seinen modulatorischen Möglichkeiten in klanglicher und dynamischer Sicht rückt in den Fokus musikalischer Arbeit.
Um den Hörer auf diesen Aspekt zu konzentrieren, lässt Zacher einen gespiegelten sechstönigen Akkord nahezu durchgehend als Ligatur in der linken Hand im Grand jeu des Schwellwerks liegen. Eine eigene Rhythmuszeile in der Mitte zeigt die Bedienung des Schwellpedals an. Hinzu kommen musikalische Elemente der rechten Hand, die von Akkorden und Einwürfen bis hin zu Melodiefragmenten reichen. Zeitweilig werden sie im Brustwerk gespielt, das nur mit einem Gedackt 8 registriert ist. So entsteht der besondere Effekt, dass das Schwellwerk das Brustwerk klanglich-dynamisch zeitweilig verdeckt. Dies ist explizit so gewollt. Hinzu tritt gelegentlich das Pedal in tiefer Bassfunktion. Öffnen und Schließen des Schwellwerks geschieht nun im Tempo des Achtelpulses oder in weiten, übergebundenen Noten. Neben den Crescendo-Effekt tritt zudem eine rhythmische Komponente, die sich vor allem gegen Ende des Stücks entfaltet. Einkomponierte Aussetzer des Akkords kurz vor Schluss lassen der Orgel buchstäblich den Atem stocken.
Es handelt sich spieltechnisch um ein einfaches bis mittelschweres kürzeres Stück, dss auch auf einer nicht allzu großen zweimanualigen Orgel mit zungenbesetztem Schwellwerk gut darstellbar ist. Wenngleich die polyphone Handschrift Zachers die Einstudierung nicht immer vereinfacht, ist die Musik in jedem Fall lohnend für Liturgie und Konzert. Auch für OrganistInnen, die wenig Erfahrung in der Interpretation zeitgenössischer Musik haben, erweist sich die Partitur als geeignet. Fernab aller technischen Kapriolen ist das Ergebnis bezaubernd schön und klar.
Dominik Susteck