Vivaldi in Dresden – The Four Seasons

Transcriptions for Organ

Verlag/Label: Oehms Classics OC 1822 (2015)
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 56

4 von 5 Pfeifen

Was hat Antonio Vivaldi mit Dresden zu tun? Der ehedem berühmteste Musiker des 18. Jahrhunderts, der halb Europa bereiste, hat diese Stadt bekanntlich nie gesehen. Und doch sticht die konzeptionelle Idee der Einspielung ins Auge: Musik des genialen „Prete rosso“, gespielt an einer deutschen Barockorgel im ita­lienisches Flair atmenden und nahezu wiedererstandenen „Elbflorenz“, arrangiert in Fassungen von J. S. Bach und Heinrich Grimm. Diese Rechnung an interessanter Melange geht nicht nur auf, sie wird geradezu zu einem Erlebnis, wenn sie musikalisch so zusammengefügt wird, wie Hansjörg Albrecht es hier tut.
Gleich zu Anfang des d-Moll-Concertos wird man von Albrechts Drive mitgerissen. Die Gravität der Orgel, der größten von Gottfried Silbermann und mit historisch originalem Pfeifenbestand, hat gewiss ihren eigenen gewichtigen Anteil da­ran. Der Interpret improvisiert im Grave und auch in den schnellen Sätzen freudig drauflos, spart nicht mit Ornamenten und Varianten, dass es eine wahre Freude ist. Das „Grosso Mogul“-Concerto wird durch tiefe Pedalstimmen zunächst einmal bewusst „elefantös“ introduziert, bevor das eigentliche Stück sodann beginnt. Vermeintlich „un­his­torische“ farbige Registerwechsel in großer Zahl fördern die klanglich unglaublichen Möglichkeiten dieses Instruments zutage. Bisweilen vernimmt der Hörer  ein regelrechtes Registercrescendo bzw. -decrescendo, und eigentlich hätte man den/die Registranten verdientermaßen im Booklet erwähnen sollen. Albrecht realisiert bisweilen sogar Accelerandi und Ritardandi in der Solostimme, doch stets klingt alles sehr überzeugend und evident.
Grundsätzlich sind alle Tempi außer dem von Track 1 eher gemäßigt, was nicht nur dem überhalligen Raum, sondern auch der Orgelmechanik geschuldet ist. Albrecht ist klug genug, geschwindigkeitsmäßig nicht in Konkurrenz zu einem Streicherensemble, wofür die Stücke ursprünglich natürlich gedacht sind, treten zu wollen, sondern er erschafft die Lebendigkeit durch sein überaus vitales und artikulatorisch gekonntes, mit Verzierungen angereichertes Spiel.
Fast noch mehr kommt das alles in den Jahreszeiten zum Tragen. Der Bearbeiter hat hier eine gelungene Transkription dieses wohl berühmtesten Vivaldi-Stücks vorgelegt und typische Probleme, wie sie beim Übertragen von Musik für Streich- auf Tasteninstrumente auftreten, geschickt gelöst. Albrecht hält sich ziemlich genau an die Bearbeitung, weicht nur im Mittelsatz des „L’
Autunno“. Manchmal hat man das Gefühl, der Spieler ändert die Vorlage gerade dann, wenn er etwas ausprobiert, was im speziellen Falle bei der Silbermann-Orgel vielleicht noch besser klingt als das, was der Notentext gerade vorschlägt. Auch hier herrschen insgesamt moderate Grundtempi vor, aber sehr lebendig und einfallsreich gespielt. Albrecht registriert nicht nur viel, er lässt das Instrument auch häufig in tiefen Fußlagen erklingen und schafft so eine eigene Klangidiomatik, die der Überzeugungskraft der Transkription ebenfalls entgegenkommt.
Summa summarum eine spannende und mit Freude anzuhörende Einspielung!

Christian von Blohn