Violoncello und Orgel: Werke estnischer Komponisten

Werke von Andres Uibo, Ester Mägi, Artur Lemba, Edgar Arro, Juhan Jürme, Kaljo Raid, Tõnu Kõrvits, Artur Kapp und Eino Tamberg)

Verlag/Label: Eres CD 104 (2011)
erschienen in: organ 2011/03 , Seite 51

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Sieben der zehn hier versammelten Vortragsstücke für Violoncello und Orgel sind, mit Verlaub, in die Kategorie „Schmonzetten“ zu verweisen. Allzu einfallslose Simplizität, emphatisch vorgebracht. Die Gefahr der klangseligen Kollektion: Hörer, die es nicht besser wissen – wer Musik von Eduard Tubin, Veljo Tormis, Arvo Pärt, Lepo Sumera, Erkki-Sven Tüür oder Helena Tulve kennt, weiß es besser –, könnten den Eindruck gewinnen, estnische Komponisten huldigten samt und sonders einer folkloristisch verbrämten Ästhetik des schönen Scheins. Das baltische Meer: Sammelbecken sanfter Sehnsuchtsflüsse und Herzensergüsse?
Regt sich im Eingangsstück Bach im Spiegel des Organisten Andres Uibo – Anfang der 1990er Jahre Gaststudent der Stadt Lübeck, wirkt er seither als Orgelprofessor an der Akademie für Musik und Theater in Tallinn – mit seinen Anspielungen auf das königliche Thema aus dem Musikalischen Opfer und die kinetische Energie der Préludes aus den Cellosuiten noch der Geist kombinatorischer Rhetorik (wiewohl er den Bach-Spiegel nicht so schief hält wie der Lette Romualds Kalsons in seinem entsprechenden Klavierzyklus), so führt der Weg nun erst einmal in den Salon oder ins Café. Wo das Cello schmachtend und schmeichelnd den Ton angibt, den die Orgel akkordfüllend „absegnet“.
Damit tauchen wir in die Sphäre der baltischen Zwischenkriegsjahre ein, ins kurze, trügerische Glück nationaler Selbstbestimmung und Selbstbesinnung. Artur Kapp, Gründervater der estnischen Kunstmusik, hatte bei Rimski-Korsakow und Ljadow in St. Petersburg studiert. In deren Geist schöpfte er aus den Quellen der heimischen Volksmusik und gründete die „Tallinner Komponistenschule“. Ihr entstammen Juhan Jürme und Edgar Arro, die sich mit kleinen Annehmlichkeiten für Cello und Orgel hören lassen. Auch Artur Lemba, hier mit einem Wiegenlied vertreten, studierte im nahe gelegenen Petersburg, während Ester Mägi – dem gesangsseligen Psalm anzumerken – ihre musikalischen Weihen in Moskau empfing.
Eino Tamberg, ein Schüler von Eugen Kapp (Sohn von Artur Kapp), ist – wie sein spannendes Dialogstück Play With Big Drum zeigt – der Dramatiker unter den estnischen Komponisten der dritten Genera­tion. Mit der fantasievollen Einleitung und Wanderers Lied von Tõnu Kõrvits, 1969 geborener Schüler von Raimer Kangro und Jaan Rääts, berücksichtigt die Edition zumindest einen Komponisten der vierten Generation. Einen Poeten der Klangfarbe dazu.
Mit dem Violoncellisten Aare Tammesalu und dem Organisten Andres Uibo fanden sich zwei kompetente Anwälte und Beiträger der raren Violoncello-Orgel-Literatur.
Lutz Lesle