Viennese Reflections
Werke von Mozart, Schönberg, Schubert und Webern. Pier Damiano Peretti an der Lenter-Orgel der Lutherischen Stadtkirche in Wien
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Wien als Zentrum musikalischer Reflexionen bildet das beziehungsvolle Motto der vorliegenden CD von Pier Damiano Peretti. Als „Initialzündung“ für die Programmkomposition bezeichnet der seit 2009 in Wien lehrende Orgelprofessor dabei die „Erkenntnis über die Zusammenhänge“ der in der Tonart f-Moll stehenden, formal wie in der Verwendung barocker Punktierungen ähnlich strukturierten Fantasien von Mozart (KV 594 und 608 für Orgelwalze) sowie Schubert (op. 940 / D 952) für Klavier zu vier Händen, alles bedeutungsstarke Spätwerke.
Perettis eigene Übertragung von Schuberts Klavierwerk fügt in ihrem Klangfarbenspektrum den Kompositionen eine reizvolle Interpretationskomponente hinzu. Mit dem Adagio in G-Dur D 178 und der Fuge in e-Moll op. 152 (D 952) stellt er zwei frühe Kompositionen an die Seite, die in ihrer klanglichen Leichtigkeit spezifische Eigenschaften der 2017/18 nach einem Vorbild aus dem Jahr 1808 von Friedrich Deutschmann (1757–1826) rekonzeptionierten dreimanualigen Lenter-Orgel der Wiener Lutherischen Stadtkirche nützen. Das Instrument schlägt mit seinem Spätbarock und Frühromantik verbindenden, dezenten, quasi der Schubert-Zeit entsprungenen Klangbild, insbesondere mit dem eigenständigen „harmoniumartigen Physharmonikawerk […] gar eine Brücke zur volksmusikalischen Sphäre“, so Peretti im Booklet.
Die das Original wie auch die Bearbeitung ebenso präzise wie feinsinnig umsetzende Interpretation bereichert die Werke, entlockt ihnen neue Farben und gibt durch eine nur auf einer Orgel mögliche Konturierung tiefgreifende Auskunft über die Kompositionsstruktur.
Um klanglich verdeutlichte Strukturen geht es auch in anderen Teil der Wiener Reflexionen Perettis: Seine Adaptionen von Klavierwerken Schönbergs (Sechs kleine Klavierstücke op. 19) und Weberns (Variationen für Klavier op. 27) treffen in ihrer intimen, akribisch auf ein Minimum reduzierten Gestalt auf eine aufwendige, die Vorgaben der Komponisten präzise umsetzende bzw. sogar darüber hinaus gehende Registrierung. So machen Schönbergs 6. Stück aus op. 19 wie auch Weberns 2. Satz aus op. 27 besonders deutlich, dass die Übertragung von Klavierwerken auf die Orgel die Musik um (mindestens) eine Dimension bereichert: Wie Augenmusik wird die Notation mit dem Wechsel zwischen den Systemen – auf dem Klavier durch das identische Register nicht unterscheidbar – mit Hilfe unterschiedlicher Registrierungen hörbar gemacht.
Inzwischen haben sich eine Reihe führender Organisten auch mit Schönbergs Orgelwerk beschäftigt. Peretti setzt diese Bemühungen auf faszinierende Weise und höchstem spieltechnisch-klangästhetischen Niveau fort. Er löst damit die Orgel aus einem vermeintlichen Nischendasein und rückt sie ins Zentrum eines ebenso historisch orientierten wie modernen Interpretationsansatzes – die mit einem ausführlichen Booklettext von Christian Heindl und dem Organisten informativ ausgestattete CD ist ein Muster für eine verantwortungsbewusst kreative Annäherung an gehaltvolle, ausdrucksstarke Musik.
Ulrike Aringer-Grau