Gleißner, Walter (*1931)
Veni sancte Spiritus für Orgel
Der 85-jährige katholische Kirchenmusiker, Komponist, Konzertorganist und promovierte Musikwissenschaftler Walter Gleißner Schüler u. a. von Helmut Walcha in Frankfurt am Main hat kürzlich bei der Kölner Edition Dohr eine Reihe eigener Orgelwerke veröffentlicht. Einige davon setzen sich mit lateinischen Sequenzen der römischen Liturgie auseinander. Die Sequenz entstand ursprünglich aus dem Verfahren, die Schlussmelismen des gregorianischen Alleluia nach Art des sogenannten Tropus mit einem neuen Text zu unterlegen. Den sich später daraus entwickelnden Reim- bzw. Strophensequenzen lagen teils Texte theologisch bedeutender Autoren zugrunde. Das Konzil von Trient beschränkte im 16. Jahrhundert die Zahl der bis dahin auf mehrere tausend angewachsenen Sequenzen radikal auf lediglich vier, zu denen später eine fünfte (Stabat mater) hinzukam, die wie das Dies irae bedeutende Komponisten von Mozart bis Verdi zu entsprechenden Vertonungen anregten. Die römische Liturgie schreibt in der gegenwärtigen Praxis nur noch zwei der Sequenzen obligatorisch vor, nämlich die zu Ostern (Victimae paschali laudes) und zu Pfingsten (Veni Sancte Spiritus).
Gleißners Orgelsequenz Veni Sancte Spiritus führt den ausdrucksstarken, Stephen Langton zugeschriebenen Text der Sequenz melodisch komplett durch das gesamte Stück. Der gregorianische C. f. wird dabei zum Dreivierteltakt rhythmisiert. Die modal (dorisch) angehauchte Harmonik wird gleich zu Anfang mit ostinatohaft wirkenden chromatischen Achtelketten kontrapunktiert. Gleißner bringt Abwechslung in die auf fünf Doppelstrophen angelegte Dichtung durch Wechsel der Melodie in verschiedenen Stimmen sowie ruhigere und auch bewegtere, bei den triolischen Teilen fast barock anmutende Stimmgeflechte. Insgesamt ist das Werk ziemlich vertrackt zu spielen und bedarf einiger Übung.
Etwas leichter präsentieren sich dagegen die Wallfahrtsimpressionen, geprägt von Gleißners Kindheitserinnerungen an zwei böhmische Wallfahrtsorte, weswegen zwei der dort beliebtesten Pilgerlieder, Glor-würdge Königin und Milde Königin gedenke, motivisch durch die Komposition wandern.
Hymnus und Sequenz wiederum bringt nach einem fugierten Anfang über die letzten beiden Strophen des Pange lingua von Thomas von Aquin ein von einem toccatenhaft anmutenden Teil eingerahmte Bearbeitung der Fronleichnamssequenz Lauda Sion desselben Textdichters, die sich dazwischen in ähnlicher Weise wie die Pfingstsequenz präsentiert. Die Tonsprache ist auch hier kirchentonal geprägt, gepaart mit einer figurativ barock anmutenden polyphonen Schreibweise. Auch dieses Stück birgt etliche spieltechnische Herausforderungen.
Walter Gleißners Werke sind gewiss keine neue Orgelmusik im eigentlichen ambitionierten Sinne, sondern einer traditionellen, kompositorisch anspruchsvollen Faktur verpflichtete Musik. Bei der Einstudierung, für die man sich genügend Zeit nehmen sollte, ist das angenehm lesbare Druckbild der Ausgabe ein willkommener Anreiz.
Christian von Blohn