Brahms, Johannes
Variationen und Fuge über ein Thema von Händel
Bearbeitung für Orgel, op. 24 von Martin Schmeding
Im Jahr 1862 veröffentlichte Johannes Brahms seine pianistisch höchst anspruchsvollen, knapp halbstündigen Variationen und Fuge über ein Thema von Händel. Die in sich geschlossene Konzeption, mit 25 Variationen und einer finalen Fuge, markiert einen Durchbruch innerhalb seiner fünf Variationszyklen für Klavier solo. Martin Schmeding bereichert mit seiner gelungenen Orgelfassung das originale Orgelrepertoire von Brahms um einen gewichtigen Beitrag (Vorwort des Bearbeiters). Dem geneigten Interpreten, der über ein sicheres pianistisch-technisches Rüstzeug verfügt, sei diese sorgfältig erstellte sowie editorisch ansprechend und lesefreundlich gestaltete Ausgabe empfohlen.
Der Pianist kann vermittels eines ausdifferenzierten Anschlags verschiedene Klangebenen erstehen lassen, die an der Orgel durch unterschiedlich ausregistrierte Klangsektionen auf verschiedenen Manualen und dem Pedal darstellbar sind. Das Thema (Aria) erklingt in der Bearbeitung mit einer Solostimme, die von streichenden Grundstimmen begleitet wird. Die ausgreifenden Staccato-Bassfiguren der Variation Nr. 1 werden ins Pedal verlegt, wodurch der Part der rechten Hand auf zwei Manuale verteilt werden kann. Musikalische Linien treten immer wieder plastisch hervor. Beispielsweise wird die Unterstimme der rechten Hand im ersten Teil der lyrischen 11. Variation mit einem leisen 4-Register im Pedal übernommen, im zweiten Teil der Bass mit einem 8-Register.
In der zentralen Minore-Variation Nr. 13 können die in Sexten geführte Melodie (auf Manual I) und die arpeggierten Begleitakkorde (Manual II mit Pedal) dynamisch abgestuft wiedergegeben werden. Unter Zuhilfenahme oktavierender Registrierungen (16 und 4) werden auch der Kanon der 6. Variation und der doppelte Kontrapunkt in der Oktave der 18. Variation, die über den eigentlichen natürlichen Manualumfang der Orgel hinausgehen, in der originalen hohen Diskant- bzw. tiefen Basslage realisierbar. Quasi-kontrapunktische pianistische Imitationen kennzeichnen die Vivace-Variationen Nr. 23 und Nr. 24. Wiederholt anstürmend changiert die Dynamik auf kleinem Raum, zum Teil viertelweise mit Crescendi und abrupten Wechseln zwischen piano und forte. In der energico-Variation Nr. 10 kann das jeweils zweitaktige Diminuendo vom forte zum pianissimo ohne Weiteres terrassendynamisch mit Manualwechsel (bei gekoppelten Manualen) und gleichzeitigem Schließen des Jalousieschwellers umgesetzt werden.
In seinem Vorwort (in deutsch / englisch) skizziert Martin Schmeding, den Charakteren der einzelnen Variationen entsprechend, Möglichkeiten der klanglichen Gestaltung. Das Thema der groß angelegten vitalen Schlussfuge wird als Umkehrung und Augmentation präsentiert und von freien Zwischenspielen abgelöst. Der unverwechselbar romantisch-dichte Brahmssche Klaviersatz beinhaltet dabei etwa Terzen-, Sexten- und Oktavenpassagen und weitgriffige Begleitfiguren. An der Orgel wird die Bassstimme oftmals vom Pedal übernommen. Über dem Orgelpunkt auf F erklingt schließlich das volle Werk, und der Variationszyklus schließt triumphal und klanggewaltig ab.
Jürgen Geiger