Franck, César

Trois Chorals pour Grand orgue

hg. von Friedemann Winkl­hofer, Urtextausgabe

Verlag/Label: G. Henle, HN 975
erschienen in: organ 2013/03 , Seite 58

Als im Jahr 1878 anlässlich der Pariser Weltausstellung das „Palais du Trocadéro“ errichtet wurde, fand im „Salle des Fêtes“ Frankreichs erste große Konzertorgel von Aristide Ca­vaillé-Coll ihren Aufstellungsort. Für dieses klanggewaltige 32’-Fuß-Instrument (66/IV/P) schrieb César Franck seine Trois Pièces; das Autograf enthält hierzu detaillierte Registrieranweisungen. Als das Werk fünf Jahre später im Druck erschien, war Franck bereits Titulaire der Cavaillé-Coll-Orgel von Sainte-Clotilde in Paris; die Angaben in der Erstausgabe bezogen sich nun auf die dortige (kleinere) Orgel. Die vorliegende Edition nutzt die Gelegenheit, zusätzlich zum Text des Erstdrucks erstmals auch die Originalregistrierungen für die Trocadéro-Orgel wiederzugeben. Francks Klangvorstellung für dieses klangprächtige Werk wird somit gleich zweifach transparent.
Die Drei Choräle gehören wohl zu Francks erfolgreichsten Kompositionen überhaupt. Sie sind von großem semi-religiösen Ernst geprägt und in ihrer orchestralen Anlage sowie großangelegten Dimension nach der frei konzertierenden Orgel zugedacht. Der Orgelwelt gelten sie gewissermaßen als Francks musikalisches Vermächtnis. Nach einem Verkehrsunfall im Mai 1890 verstarb der Komponist Anfang November 1890. Vermutlich hatte er die Arbeit an den Drei Chorälen bereits 1889 begonnen, die Fertigstellung zog sich jedoch nachweislich bis in den Herbst des Jahres 1890 hin. Die Drucklegung der Erstausgabe konnte Franck nicht mehr selbst beaufsichtigen, die Ausgabe erschien erst postum 1892. Die vorliegende Urtextausgabe wertet erstmals zwei bis heute unbekannte Autografe des 1. und 3. Chorals aus und kann somit den Notentext über die Erstausgabe hinaus auf eine sichere Quellenbasis stellen.
Die Ausgabe, die (hoffentlich) noch mit einem dritten und vierten Band abgeschlossen wird, bietet eine sorgfältig recherchierte und den praktischen Anforderungen eines  Konzertorganisten hinsichtlich der Wendestellen entgegenkommende Urtextausgabe. Marie-Louise Jaquet-Langlais hat bereits 1986 (in einer von Herrmann J. Busch bei Merseburger herausgegebenen Pub­likation über die französische Orgelmusik) auf die bis dato nachgerade verwirrende Vielzahl der Franck’­schen Orgelausgaben und auf die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Editionen (Dupré, Du­ruflé, Barblan) hingewiesen. Nach dem von Herrmann J. Busch überarbeiteten Nachdruck der Erstausgabe im Butz-Verlag erscheint die vorliegende Henle-Ausgabe gewissermaßen als eine Fortführung jener mit aktualisiertem und gut lesbarem Notenbild sowie wichtigen editorischen Notizen zur Handhabung der unterschiedlichen Aufführungsparameter Registrierung und Artikulation („note commune“, „légato absolu“). Der Herausgeber liefert ferner in beiden Bänden Informationen zu den instrumentalen Gegebenheiten (Palais du Trocadéro, Basilique Ste-Clotilde) sowie als Zugabe den originalen Notentext der alternativen Schluss­takte der Pièce heroïque aus dem Autografen César Francks. Da die historisch informierte Aufführungspraxis nun dankenswerterweise auch die französischen Romantik erfasst, sei diese Urtext-Ausgabe dem (text-)kritischen Interpreten anempfohlen.

Jörg Abbing