Transcriptions

Loreto Aramendi plays Camille Saint-Saëns, Sergei Rachmaninov, Franz Liszt, J. S. Bach, Richard Wagner and Gabriel Fauré at the Aristide Cavaillé-Coll (1890) pipe organ of the Saint Ouen Abbaye of Rouen (France)

Verlag/Label: 2 CDs, Hydre (2017)
erschienen in: organ 2017/04 , Seite 58

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Sergej Rachmaninows sinfonische Dichtung Die Toteninsel, inspiriert von den fünf gleichnamigen Gemälden Arnold Böcklins, ist ein tief berührendes spätromantisches Or­ches­terwerk. Suggeriert es dem Hö­rer doch, er säße in einem Geisterschiff mit Kurs auf jenes Eiland, dessen mystizistisch-düstere Bukolik von mächtigen Trauerzypressen beherrscht wird. Ein groß besetztes Sinfonieorches­ter vermag entsprechend spannungsvolle Dynamik zu entfalten und damit starke Emotionen beim Publikum zu wecken.
Aber nicht minder die Orgel! Jedenfalls diejenige von Saint-Ouen in Rouen (Normandie), die letzte wirkliche symphonische Großorgel (1890) des genialen Pariser Meis­ters des „Orgue symphonique“ Aris­tide Cavaillé-Coll. Sie ist wie geschaffen für eben diese Musik orchester-sinfonischen Zuschnitts, wie sie die spanische Organis­tin Loreto Aramendi für das Programm ihrer Doppel-CD ausgesucht hat. Die in einem kleinen baskischen Örtchen geborene Interpretin liefert hier ein wahres Meisterstück ab. Nicht nur mit Rachmaninows Toteninsel, sondern auch mit Saint-Saëns’ Danse macabre, Wag­ners „Pilgerchor“ aus dem Tannhäuser, dem Heiligen Fran­ziskus von Paola, wie Liszt ihn auf den Wogen schreiten lässt … all diese Werke sind heute (etwas anders, als es bei der Toteninsel der Fall ist) beileibe keine Repertoire-Raritäten (mehr), im Gegenteil. Aber hier werden sie dank des kolossalen Instruments mit seinem kaum zu beschreibenden orchestralen Klangzauber auf einzigartige Weise lebendig, ja „klangmächtig“!
Dies allerdings auch dank Aramendis fabelhafter und ganz klar pianistisch geschulter Spieltechnik, die jede Hürde der bisweilen tü­ckisch angelegten Transkriptionen locker nimmt. Zum anderen angesichts ihrer in jedem Moment fein angelegten Agogik, der nicht das geringste dramaturgische Detail entgeht. So werden auch Liszts „Funérailles“ aus den Harmonies poé­tiques et religieuses (1853) zu einem visionären Ereignis, bekommt Rachmaninows berühmtes Klavier-Prélude cis-Moll ungeahnte Größe und apokalyptische Wucht. Im klaren Kontrast dazu Bachs brillant musizierte „Sinfonia“ aus der Ratswahl-Kantate – auch sie ein (musikalisch seltenst überzeugend dargebotener) Dauerbrenner auf CDs mit Orgeltranskriptionen. Hier, im Kontext der übrigen Stücke, sorgt sie für Strahlkraft und Licht und macht nebenbei für alle hörbar deutlich, dass sich auf Cavaillé-Colls (später!) Orgel auch barocke Pracht ungebremst zu entfalten vermag.
Zuletzt bringt Aramendi Faurés Suite Pelléas et Mélisande mit einer quirlig fließenden „Fileuse“, der „Sicilienne“ (worin die Flûtes harmoniques ihren solistischen Auftritt haben) und der schaurig-hinreißenden „Cortège“, die mit impressionistischen Pinselstrichen den Tod Mélisandes musikalisch paraphrasiert.
Prachtvoll die Ausstattung mit 76-seitigem Booklet (Texte auch in Spanisch und Baskisch!), darin Abbildungen der Komponisten und der Orgel sowie technischer Originalzeichnungen von Cavaillé-Colls Barkermaschinen. Stellenweise seltsam unbeholfen bis missverständlich-falsch die deutsche Textübersetzung.

Christoph Schulte im Walde