Totentanz-Tango

Sechs Stücke für Orgel, bearbeitet von Max Glauser

Verlag/Label: PAN Verlag, pan 37
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 59

Was meint der Titel Totentanz-Tango. Sechs Stücke, bearbeitet …? Eine Tango-Serie, einen sechstei­ligen Zyklus? Die Titelseite des Umschlags ziert ein Gemälde mit dem Titel Plauser Totentanz (2001), am oberen Rand des Bildes kommuniziert ein Spruchband den (hier hochdeutsch wiedergegebenen) Text „Tanzen tun wir alle gern – nicht aber mit so dürren Herrn“, was sich auf die drei dargestellten Damen-Skelettherren-Paare in Tango-Pose mit straffer Körperspannung bezieht.
Erst der Blick auf das Inhaltsverzeichnis schafft etwas Klarheit: Der Totentanz-Tango ist das sechste und letzte Stück, eine Bearbeitung über das Volkslied Es ist ein Schnitter, heißt der Tod mit typischen Stilelementen, die Tango-Flair generieren. So wird gleich zu Beginn die Schnitter-Melodie über den Tango-Leisten gezogen: „Es ist, tatata-da / ein Schnit-, tatata-da / ter, heisst, tatata-da / der Tod.“ Was immer an „klassischen“ melodisch-rhythmischen Formeln zum Tango argentino erfunden worden ist, findet sich hier wieder. Der Hinweis „Bandoneonklang imitieren“ stellt klar, was beabsichtigt ist: ein Klangimitat, ein Crossover von altdeutscher Weise und neuzeitlich-südamerikanischem Sound.
Die übrigen fünf „Arrangements bekannter Melodien für die Orgel“ (Vorwort) – Sonne der Gerechtigkeit; Morning has broken; When Israel was in Egypt’s Land; Wie herrlich gibst du, Herr; Silence – haben mit dem Totentanz-Tango nichts weiter zu tun – wie es scheint, eine unglückliche Titelwahl für den viel umfassenderen Inhalt dieses Heftes.
Sonne der Gerechtigkeit wird als Blues „bearbeitet“ – das c-Moll-Blues-Feeling will zum beherzten Dur-Cantus-firmus der Sonne eigentlich gar nicht passen, was wohl auch das Fehlen eines Melodiezitats erklärt. Beim Orgelchoral Morning has broken klingen Reminiszenzen an putzige Frühklassik-Miniaturen an (dünner Klaviersatz, mehrtaktige Achtel-Wechselnoten). Die vollgriffigere Bearbeitung von When Israel was in Egypt’s Land lässt angesichts zahlreicher Verdoppelungen Manual–Pedal die Frage aufkommen, ob es sich um einen abgesetzten Klaviersatz oder eine orgelidiomatische Komposition handelt – das Klavierklang-Vorbild ist allgegenwärtig. Wenig abwechslungsreich ist die Stereotypie von Bewegungsmustern. Die Toccata Wie herrlich gibst du, Herr ist weitestgehend vom Klavier aus erfunden, und auch bei Silence lässt sich Chopin mit trivialer Hmtadata-Begleitung über weite Strecken heraushören.
Kurze Hinweise zur Musik (s. o. Blues) hätten Heft wie Spieler eher gut getan als „richtet sich an alle Orgelspieler(innen), Amateure oder Profis, […] für den Gottesdienst, als auch für Konzerte […]. Etliche Stücke sind vom Jazz beeinflusst, andere weniger“. Wenig hilfreich sind Plattitüden wie „klar, dass die Toccata ‚Wie herrlich […]‘ eher nicht mit nur einer 8’-Flöte gespielt wird“ und dass man sich angesichts „nur spärliche(r) Angaben zur Artikulation“ „dazu Gedanken machen muss“.

Klaus Beckmann