Muffat, Gottlieb

Toccatinen – Praeludien – Capricci

hg. von Rudolf Walter #0169

Verlag/Label: Diletto Musicale, Doblinger, Wien 2009, DM 1362
erschienen in: organ 2010/01 , Seite 65

Gottlieb Muffat (*Passau 1690, † Wien 1770) war als jüngster Sohn und Schüler des berühmteren und für die Entwicklung der Tastenmusik des süddeutschen Kulturraums ungleich bedeutenderen Georg Muffat (1653-1704) zu höchsten Ämtern am kaiserlichen Hof zu Wien aufgestiegen. Im Jahre 1717 von Kaiser Karl VI. zum „Kaiserlichen Kam­mer­organisten bei Hofe“ ernannt, wirkte er als Cembalo-Lehrer der kaiserlichen Familie und war zugleich als Organist an der Kapelle der Kaiserinwitwe Wilhelmine Ama­lia tätig.
Muffat hinterließ vornehmlich Kom­positionen für die Orgel und sonstige Tasteninstrumente (Cembalo), darunter zahlreiche Fugenkompositionen – eine Reminiszenz und deutliche Reverenz an seinen Lehrer Johann Joseph Fux – sowie Toccaten. Seine Kompositionen für Cembalo erschienen erstmals unter dem Titel Componimenti musicali (1739). Nicht zuletzt die umfangreiche mu­sikpädagogische Tätigkeit Muffats erklärt sein fruchtbares Schaffen für Tasteninstrumente. Aus diesem Œu­vre legt der Herausgeber Rudolf Walter in der Reihe „Diletto Musicale“ des Wiener Verlags Doblinger eine Reihe von Toccaten, Präludien und Capricci für Positiv oder Orgel vor, einer Sammlung des P. Alexander Giessel, OFM, aus dem Wiener Minoritenkonvent entstammend.
Die elf Orgelkompositionen unterschiedlicher Länge und Struktur haben ihren ursprünglichen Sitz im Leben dementsprechend als Nach- oder Zwischenspiele zu den Mess­ämtern und Vespern. Der süddeutsche katholische Gottesdienst goutierte, zumal im gegenreformatorischen Zeitalter, keine „üppige“ Orgelmusik. Stücke mit einer Länge von gerade einmal zwei Akkoladen wie das Prélude in G, das dem versierteren Spieler zugleich als eine Art locus inventionis für das liturgisch-improvisatorische Spiel diente, zeugen von eben dieser Praxis.
Die Capricen (im Notentext erschei­nen generell französische Satzbezeichnungen (Werktitel), während der Umschlag italienische Bezeichnungen verwendet) sind dagegen stattlicheren Formats und infolgedessen musikalisch „gehaltvoller“, was sich in einem größeren Reichtum der harmonischen Abwechslung, kunstvoller Motivbeziehungen etc. ausdrückt. Um die Beispiele dieser Gattung elegant und stilvoll zu interpretieren, bedarf es schon eines über die organistischen Anfangsgründe hinausgewachsenen Spielers.
Was ist zuletzt von dieser Neuausgabe hinsichtlich ihres tatsächlichen Repertoirewerts zu halten? Für die schlichte Edition der Toccatinen und Préludes wäre eine Drucklegung überflüssig bis unnütz gewesen, einzig für den auf süddeutsche Orgelmusik des 18. Jahrhunderts spezialisierten Musikforscher inte­ressant. Jedoch gehören die Capricen mit ihrer „fortgeschrittenen“ Satzart zu den interessanten Aspektes dieses Bandes und sollten die überschaubar geringe Mühe des Einstudierens in jedem Falle verlohnen (vielleicht auch im Orgel­unterricht, damit sich auch kleine Hände die Musik eines echten Muffat erarbeiten können). Überflüssiges und halbwegs Gelungenes halten sich letztlich die Waage.
Die Ausgabe ist mit einem Vorwort in zwei Sprachen (D/E) versehen und informiert (äußerst knapp) über Leben und Werk des Komponisten. Unverständlicherweise erfährt man jedoch nichts hinsichtlich der im Notentext vorgegebenen Verzierun­gen, die für die Kompositionen sub­stanziell sind. Sollte der Heraus­geber hier etwa auf detaillierte aufführungspraktische Kennt­nisse pro­fessioneller Interpreten Alter Musik setzen und bei „Laienspielern“ zugleich auf deren fantasievolle Intuition vertrauen?
Der Notentext gestaltet sich vorbild­lich und übersichtlich; eine klei­ne Einschränkung: Auf Seite 12 sollte im Schlussakkord das Vorzeichen (Alt) getilgt werden.

Volker Ellenberger