Bergelt, Wolf (* 1951)

Toccata à la harmonica

Eine Hommage an die Pariser Straßenmusiker

Verlag/Label: edition labium, Berlin
erschienen in: organ 2015/04 , Seite 61

Wer heute nach zeitgenössischen Orgelwerken sucht, die genau so organistisches Gemeingut werden könnten wie die „großen“ alten, wird vermutlich vergeblich Ausschau halten oder am Ende mit Transkriptionen aus eher orgelfernen Welten Vorlieb nehmen müssen. Wenn auch keine Trendwende, so doch einen gewissen „Lichtblick“ verschafft dem solchermaßen Suchenden da Wolf Bergelt mit seiner überraschend originellen Toccata à la harmonica für Orgel. Das Werk ist ein spätes Debüt, nachdem der in Berlin lebende kirchenmusikstudierte Urheber bisher als Orgel­historiker, freier Pub­lizist und Sachbuchautor firmierte. Es entstand auf Anregung des Organisten Dietrich Kollmannsperger, der Bergelt vor vielen Jahren improvisieren hörte und ihn seitdem beharrlich in die Kreativität zu lo­cken versuchte, bis es ihm nun gelang. Dementsprechend übernahm er am 10. Oktober 2015 auch die denkwürdige Uraufführung im Rahmen der Orgelmusiken an der wunderbaren Scherer-Orgel im hansestädtischen Tangermünde.
Das im Herbst 2014 entstandene Stück ist in der Tat ein origineller Wurf und – wie schon der Name sagt – von der Klangwelt der Harmonika inspiriert. Mehr noch, es ist als eine echte Hommage an die Pariser Straßenmusiker bzw. ihren unverwechselbaren populären Knopfharmonikastil gedacht. Somit hat es keine eigentlichen Vorbilder in der Orgelwelt, obgleich die Orgel dafür wie geschaffen scheint: Ein Hauch von Notre-Dame-Atmosphäre und Pariser Straßencafés,  minimalistische Elemente jenseits von Glass und Pärt und Harmo­nikabewegungen um eine in allen Stimmen wiederkehrende, emportragende Kantilene, die schließlich mit einer unablässigen Triolenbewegung korrespondiert, in der sich endlich noch eine Steigerung durch gegenläufige Achtel vollzieht. Das Stück ist durchsichtig strukturiert und verlangt nach einer lichten und „leichtfüßigen“ Ausführung, die der Intention gerecht wird, aber dadurch für den Organisten auch gewisse Tücken bereithält. Doch das Ergebnis ist den Übeaufwand allemal wert. Möge das Opus seinen Weg auf die Orgeltribünen und in die Konzertsäle finden und sich schon bald vieler begeisterter Hörer erfreuen.

Dieter Glös