Hakim, Naji

Toccata „Rottenburg Toccata“ über den Choral „St. Martin, dir ist anvertraut“ für Orgel (Schott Music, ED 22524)

+ Fandango für Orgel (Schott Music, ED 22391) | Zortziko. Homenaje a Pablo Sorozábal für Orgel (Schott Music, ED 22392)

erschienen in: organ 2016/04 , Seite 62

Naji Hakim (geboren 1955 in Beirut) braucht der Orgelwelt als Intrepret, Improvisator und Komponist heute nicht mehr eigens vor­gestellt zu werden. Die Rottenburg Toccata entstand im Auftrag der Diö­zese Rottenburg-Stuttgart zum Martinsjahr 2016. In der Manier französisch-romantischer Toccaten führt das brillant-wirkungsvolle Stück die Choralmelodie von Johann Leisentritt nach einer kurzen Maestoso-Introduktion zuerst in unterschiedlichen Variationen durch, bevor das Thema in Originalgestalt im Pedal, allerdings mit einer originellen Spreizung der Melodietöne über die Oktav hinaus, präsentiert wird. Für diese Toccata bedarf es einer veritablen Technik, eines lo­ckeren Handgelenks und entsprechenden Durchhaltevermögens.
Beim Begriff „Fandango“ wird Freunden virtuoser Tastenmusiksicher als erstes das gleichnamige Stück von Padre Antonio Soler in den Sinn kommen. Hakim hat diesem Genre nun eine weitere Facette hinzugefügt. Auch hier handelt es sich um ein Auftragswerk, diesmal von der American Guild of Organists für ihren Jahreskongress in Houston. Insgesamt ist das Stück naturgemäß sehr tänzerisch angelegt mit sich überlagernden verschiedenen Betonungsmus­tern. Auf einen bewegten Anfangsteil mit teils ziemlich herben Akkorden folgt ein kantabler, im weiteren Sinne vielleicht an eine französische Musette erinnernder Abschnitt in der Mitte. Mit einem anschließenden 6/8-Takt mit Registrieranweisung „Grand jeu“, der sich über ein Vivace bis zu einem Presto steigert, endet das etwa fünfminütige Werk. Auch hier haben wir eine Komposition vor uns, die ihre Wirkung nur bei einer technisch entsprechend mühelos gestalteten Interpretation wirklich entfaltet.
Zortziko schließlich entstand für das Festival „Quincena Musical de San Sebas­tian“. Der schon weniger geläufige Titel bezeichnet einen bas­kischen Tanz mit einem nicht unkomplizierten rhythmischen Schema. Das Werk ist eine Hommage an Pablo Sorozábal, einen aus San Sebastian stammenden Komponis­ten, der vor allem für seine Zarzuelas berühmt ist, eine Gattung des Musiktheaters, die Ähnlichkeit mit der französischen Opéra comique und der Operette aufweist. Naji Hakim zitiert hier eine bekannte Melodie von Sorozábal und kleidet sie in ein Umfeld aus rhythmischen und akkordischen Finessen.
Harmonisch gesehen ist dieses Stück von allen dreien vielleicht das interessanteste. Allen gemeinsam ist die für Hakims Kompositionen häufig innewohnende Eigenschaft, dass eine auf den ersten Blick scheinbar simple, aus ostinaten „Patterns“ bestehende Faktur ihre stupende Wirkung erst mit entsprechend virtuoser Darbietung entfaltet, was die anfänglich scheinbar leicht zu erlernenden Stücke wieder recht knifflig und schwierig macht. All diejenigen, die sich auf den erforderlichen Übeaufwand einlassen wollen, werden mit dieser Musik beim Publikum sicherlich Begeisterung hervorrufen. Ohnehin profitiert man beim Studium von Hakims Musik nicht unerheblich auch immer für die eigene Improvisationspraxis, be­­inhaltet doch jede seiner Kompositionen stets bislang ungehörte/unerhörte musikalische Facetten und Ideen als krea­tive Anregungen fürs eigene Improvisieren.

Christian von Blohn