Rödele, Britta

Tinnitus Tritonus – aus dem Leben einer Orgel und ihres guten Geistes

Verlag/Label: 302 Seiten, Shaker Media 2011, 18,90 Euro | eBook 9,90 Euro
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 63

Was wäre, wenn eine Orgel, die seit ihrer Erbauung fast 300 Jahre mit den Menschen zugebracht hat, aus ihrem Leben erzählen könnte? Diese rhetorische Frage wirft der Pastor des (fiktiven) Dorfes „Hirsenfels“ in seiner Inauguralpredigt anlässlich der Weihe der 2008 restaurierten Barockorgel in der Dorfkirche auf – nicht ahnend, dass ein guter, treuer Gast/Geist seit Jahrhunderten in der Orgel haust: Tinnitus Tritonus, im Buch meist liebevoll „Tin“ genannt, ist ein musikalisch begabter Gnom und wacht seit dem Erbauungsjahr 1733 über „seine“ Orgel. Er berichtet von kleinen Katastrophen und Komödien, die sich um die Orgel in der Gemeinde während der Jahrhunderte abspielten.
Die fantasiereiche Geschichte, die Britta Röderle auf rund 300 Seiten in zwei Erzählebenen ausbreitet, ist kurzweilig erzählt. Die Anekdoten um Organisten, Orgelsachverständige, Orgelbauer, Geistliche und Kirchenbesucher, in denen es zugleich „menschelt“ und „gnomt“, zeugen von viel Empathie und vom Humor der Autorin. Der Wechsel zwischen den unterschiedlichen zeit­lichen Ebenen der Erzählung vollzieht sich bruchlos. Tin verfolgt die Fertigstellung „seiner“ Orgel von Anbeginn gebannt, denn er wird die nächsten Jahrhunderte in diesem Instrument wohnen, auf dessen sorgsame Pflege achten, und nebenbei einige Orgelbauer und Kirchenmusiker mit seinen Koboldiaden an den Rand der Verzweiflung treiben. Zugleich leis­tet er der Orgel viele unschätzbare Hilfsdienste und findet in ihr schließlich einen Vertrauten in der Menschenwelt.
Die fesselnde Hintergrundgeschichte um den Orgel-Gnom führt zugleich wunderbar in die komplexe Welt der Orgel ein. Gleichwohl fallen deutliche Schwachpunkte der Publikation ins Auge, die vorab Aspekte der äußeren formalen Gestaltung betreffen und weniger der Autorin als den Versäumnissen des Lektorats anzulas­ten sind. Ärger­liche Druckfehler wie ausgelassene Buchstaben, unsinnige Bindestriche innerhalb einzelner Wörter etc. sind vermeidbar. Ungeschickte Zeilen- bzw. Seitenumbrüche und unzählige fehlerhafte Leerschritte erschweren den Lesefluss. Punkten kann der Band, wie schon gesagt, mit den erzählerisch geschickt aufbereiteten Informationen zur Orgelkunde, aber auch zur Kirchenmusik- und all­gemeinen Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts bis heute. Deplatziert erscheint dagegen das recht dürftige „Orgelglossar“ am Ende des Buches. Die hier gelieferten „Definitionen“ zu ausgewählten Begriffen des Orgelbaus sind so knapp und unpräzise geraten, dass sie insbesondere für den orgelunkundigen Leser nahezu nutzlos sein dürften.
Die unterhaltsame und geistreiche Erzählung richtet sich nicht an einen bestimmten Adressatenkreis oder eine bestimmte Altersgruppe. Sie ist gestandenen MusikerInnen ebenso wärmstens zu empfehlen wie musikalischen Laien. Die extrem große Schrifttype und der ungewöhnlich breite Textrahmen wecken freilich auf den ersten Blick die Assoziation eines typischen Kinderbuches. Hier wäre eine adäquate re­daktionelle Auseinandersetzung mit den Intentionen und der formalen Funktion von Layout von Nutzen gewesen. Dazu gehört dann etwa auch die sinnvolle Einbindung geeigneter Illustrationen, die sich gerade hier angeboten hätte.

Wolfram Adolph