Buxtehude, Dieterich
The Complete Organ Music
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Die dänische Organistin Bine Katrine Bryndorf hat hier eine empfehlenswerte Buxtehude-Einspielung auf einem qualitativ außerordentlich hohen Niveau vorgelegt. Die Interpretin meistert dabei alle für ein solches Unternehmen nötigen aufführungspraktischen Herausforderungen: eine elegante, gleichmäßige Anschlagskultur, ein fließendes Fortschreiten betonter und unbetonter Taktteile, eine wohlüberlegte, reichhaltig ausgestaltete Ornamentik und die Wahl charaktervoller Registrierungen, bei denen markante Mischungen mit Zungenregistern eine zentrale Rolle spielen. Zugleich stellt Bryndorf bei ihrer Einspielung eindrucksvoll klar, dass diese Parameter zu ihrem Handwerkszeug gehören und damit jenseits der Grenze bleiben, hinter der das Interpretieren erst beginnt ein bei der Darstellung Alter Musik oft vernachlässigter Aspekt. Ihre Interpretationen zeichnen sich durch einen virtuosen Zugriff sowie durch eine flexible und expressive individuelle Rhetorik aus. So kann man sich das Album mit Genuss und Gewinn anhören, ohne in allen aufführungspraktischen Details mit der Interpretin übereinstimmen zu müssen.
Die problematischen, satztechnische, motivische, harmonische oder formale Details betreffenden Fehlstellen des Quellentextes, die man nach einiger Erfahrung mit diesem Repertoire nicht ohne ordnende Eingriffe spielen möchte, werden von Bryndorf nicht korrigiert, sondern lediglich verwaltet. Bei Echoepisoden wäre zu wünschen gewesen, dass die Abstände von Vorbild zu Echo und Echo zu folgendem Vorbild nicht gleich, sondern in letzterem Fall länger genommen worden wären; einige Echos sind lauter als das jeweilige Vorbild registriert. Bine Bryndorf verzichtet weitgehend darauf, den Nachhall des Kirchenraums in ihre Interpretationen kreativ mit einzubeziehen, so dass die bei Buxtehude so wichtigen Exclamatio-Floskeln manchmal zu mager geraten oder gar nicht stattfinden; auch die Abgrenzung einzelner Episoden voneinander ist nicht immer gegeben. Die Registrierungen folgen nicht unbedingt dem Kenntnisstand über die barocke norddeutsche Registrierpraxis oder werkimmanenten Kriterien, sondern erweisen sich eher als ein farbenfrohes Kaleidoskop, das die durch Prospekt und technische Anordnung gegebene Klangarchitektur norddeutscher Barockorgeln nur bedingt widerspiegelt. Dadurch verschwimmen aber auch die gattungstypischen Grenzen zwischen den Klangprofilen von Episoden im freien und solchen in gebundenem Stil sowie zwischen freien Orgelwerken und Choralbearbeitungen auff 2 Clavir.
Den ansprechendsten Eindruck vermitteln die beiden Orgeln in St. Jakobi, Lübeck; die Schnitger-Orgel der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi wirkt dagegen in dieser Aufnahme eher blass. Anders die drei nach historischen Vorbildern gebauten Orgeln in St. Marien (Elsinor), St. Marien (Helsingborg) und St. Gertrud (Stockholm): Sie klingen fast etwas hyperbarock. Ein monumentaler kathedraler Zugriff findet sich bei dieser respektablen Einspielung nicht. Man erhält hier eher den Eindruck von Buxtehude als einem eleganten Komponisten mit Esprit.
Wolfram Syré