Couperin, François

The complete organ masses

Messe pour les paroisses (Parish Mass) / Messe pour les couvents (Convent Mass)

Verlag/Label: Paladino music, pmr 0020 (2012)
erschienen in: organ 2012/04 , Seite 54

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François Couperins Orgelmessen gehören fraglos zum Kostbarsten des altfranzösischen Repertoires für die Orgel. Und immer wieder beschäftigen sich ausgewiesene Experten mit diesen Sammlungen, wie hier der neuseeländische Organist James Tibbles. Um es gleich vorwegzunehmen: Das Bemerkenswerteste an dieser Neueinspielung ist klar die historische Orgel der mittelalterlichen Stiftskirche Notre-Dame in Rozay-En-Brie. Das Werk eines anonymen Orgelbauers (III/P), gestiftet von den Kanonikern der Pariser Kathedrale Notre-Dame, sollte 1723 durch François Deslandes umgebaut werden. Kurz nach Beginn der Arbeiten verschied er jedoch und die Arbeiten ruhten.
Nach „respektvollen“ Restaurierungen durch Gabriel d’Alençon (1930-33) sowie Yves Cabourdin und Jean-Pierre Decavèle (1989-96) bietet die Orgel mit der ältes­ten noch spielbaren Klaviatur Frankreichs den raren Typus eines großen Instruments aus dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts (bei einem Anteil von gut 90 Prozent erhaltener Originalsubstanz).
Die Wahrscheinlichkeit, dass Couperin, dessen Familie ganz in der Nähe von Rozay stammte, dieses Instrument gekannt und selbst gespielt hat, ist außerordentlich hoch. Der eher „kammermusikalische“ Eindruck dieser Einspielung hebt sich von den meisten anderen Aufnahmen deutlich ab. Auch die Intonation der Zungenstimmen erscheint hier vergleichsweise (angenehm!) mild. Dabei ist das Klangbild sehr transparent, man hat fast den Eindruck, dem Interpreten beim Spielen gleichsam über die Schulter zu schauen … Im Pariser Ceremoniale von 1662 ist die Alternatim-Praxis zwischen Orgel und Schola solcher Messordinarien genau beschrieben. Entsprechend erklingen auf der CD alternierend mit den Orgelversetten die betreffenden gregorianischen Teile, wobei Tibbles, der das „Age of Discovery Vocal Ensemble“ hier selbst leitet, hörbar um historisch zeitgenössische Aussprache (z. B. mit nasaler Färbung der Vokale) bemüht ist. Die Interpretation nimmt weniger Bezug auf semiologische As­pekte, sondern gibt die Choralgesänge eher als eine Art „cantus planus“ wieder, wie wohl zu dieser Zeit üblich. Reizvoll ist dabei, dass die erste Orgelmesse mit Männern, die zweite mit einer Frauenschola gestaltet wird, wie es in einem Frauenkloster sicher möglich gewesen wäre; nur das „Ite missa est“ wird natürlich – stellvertretend für den Priester – von einer Männerstimme gesungen. Beide Scholen agieren stimmlich und intonatorisch ausgezeichnet.
All diese Aspekte zusammengenommen, nämlich ein relativ unbekanntes, aber für diese Musik ideales Instrument, ein Interpret, der sich objektiv am Notentext orientiert, mit Inégalité und Verzierungen eher do­siert umgeht, dessen Interpretation aber jederzeit sehr klar und angenehm zu hören ist, und die Abwechslung mit den beiden Gesangsensembles machen diese Aufnahme zu einer bemerkenswerten Publikation.

Christian von Blohn