Willscher, Andreas (*1955)

Terrarium

Acht Charakterstücke für Orgel solo

Verlag/Label: Dr. J. Butz, BU 2716
erschienen in: organ 2016/03 , Seite 63

Nach den in den letzten Jahren erschienenen Sammlungen Aquarium, Insektarium und Vogelarium führt uns der vorliegende Band nun, in gewohnt humoristischer Manier des Autors, ins Reich der Terrariumsbewohner und -pflanzen. Willscher möchte durch unterhaltsame und leicht fassliche Orgelmusik die Liebhaber „tierischer“ Themenwelten, jung oder alt, ansprechen und Orgelkonzertprogramme damit auflockern helfen. Dabei dienen ihm Tanzformen aus alter und neuer Zeit, Scherzi, Blues und Swing genauso, wie ein „perpetuum mobile“. Flink hopst ein Laubfrosch im zart-fröhlichem Scherzando durch das Grün, der Kaktus steht nahe dabei und beobachtet im ruhig wiegendem Walzertakt die Szene, die keck durch einige Stachelspitzen-Akkorde unterbrochen wird, wenn sich ein Pflanzenfresser nähert und den Dicken anknabbern möchte.
Ostinate Akkorde in Viertelschlägen begleiten die feine Melodie der Dosenschildkröte, die ihre Kompositionsstudien vermutlich bei Eugène Bozza absolviert hat. Hurtig rennt die Kragenechse in der Form einer Gigue die Klippen der Klaviatur auf und ab, wobei sie immer mal wieder innehält, um eine Fliege abzupassen. Sogar eine Blumentopfschlange (Indotyphlops braminus) findet sich in unserem Terrarium, die einzige Schlangenart übrigens, die sich parthenogenetisch vermehrt, es existieren also nur Weibchen, aus deren Eiern sich ohne Befruchtung Klone entwickeln – das vermag man sogar herauszuhören, wenn sich in der Mitte des Stücks auf einmal aus einem Thema ein kleines Fugato entwickelt und sich drei kleine Schlänglein im Erdreich ringeln. Ansonsten besticht der Satz durch ostinate Begleitung und reizvolle lydische und indisch anmutende Heimatklänge der Schlange.
Der rondoförmige Bauerntanz des Chamäleons wechselt wie sein Idol dauernd die Farbe und gemahnt an Griegs lyrische Stücke für Klavier. Die Vogelspinne groovt gefährlich daher und verbreitet Schrecken, der in einem Angriff ihrerseits am Ende des Satzes eine große Steigerung erfährt. Die Gespenstschrecke (Phasmato­dea) ist eine kletternde, nicht springfähige Heuschreckenart, die in vielfältigen und absonderlichen Formen, z. B. als Stabheuschrecke oder als Abbild von Pflanzenteilen, vorkommt. Hier in unserem Terrarium haben wir es aber mit einer sehr lustigen Spezies zu tun: Die Dame ist nämlich eine frenetische Tänzerin, die sich lieber fröhlich im Kreis dreht, ihre Beine hebt und sicherlich niemanden erschrecken will.
Willscher erweist sich – wieder einmal! – als geistreicher Meister der kleinen Form. Die Vorbilder Grieg (apropos: Die Stücke Willschers lassen sich übrigens auch sehr gut auf dem Klavier hören und sind als schulpraktische Unterrichtswerke für Kinder absolut zu empfehlen!), aber auch Louis Vierne und Jean Langlais und etliche unbekanntere Orgelkomponisten haben sich dem Genre kleinerer Charakterstücke für Klein­orgeln, manualiter zu spielen, zu­gewandt. Wer Lust hat (und die kommt beim Spielen der vom Schwierigkeitsgrad her leichten bis sehr leichten Opuscula auf), kann sie gerne für große Orgeln umarbeiten und Pedal, Manual- und Registerwechsel hinzufügen. Viel Spaß mit diesem Terrarium, das am Ende keiner sauber machen muss …

Stefan Kagl