Scheidt, Samuel

Tabulatur-Buch, Görlitz 1650

(= Meister der Norddeutschen Orgelschule, Band 36)

Verlag/Label: Edition Schott ED 22325
erschienen in: organ 2016/01 , Seite 60

Samuel Scheidt zählt fraglos zu den bedeutendsten und innovativs­ten deutschen Musikerpersönlichkeiten am Anfang des 17. Jahrhunderts. Der 1587 in Halle an der Saale geborene Musiker wurde früh mit dem Hilfsorganistenposten an der dortigen St.-Moritz-Kirche betraut und von ca. 1607 bis 1609 nach Amsterdam zum Studium zu Jan Pieterszoon Sweelinck geschickt. Nach seiner Rückkehr 1609 berief ihn der Administrator des Erzstifts Magdeburg, Markgraf Christian Wilhelm von Brandenburg, als Hoforganist nach Halle, wo er gleichzeitig zum Kantor an der Moritzkirche berufen wurde. In Halle arbeitete er 1614–16 mit Michael Praetorius zusammen. Der hereinbrechende Dreißigjährige Krieg be­endete Scheidts Karriere um 1625 jäh und ließ den Komponisten für den Rest seines Lebens in unsicheren und wirtschaftlich zunehmend prekären Umständen zurück.
Scheidts größte kompositorische und auch editorische Tat bildet sicherlich die 1624 im Druck erschienene dreiteilige Tabulatura nova, die zum ersten Mal in Deutschland zeitgenössische Musik für Tasteninstrumente in moderner Partitur-Notation auf zwei bis drei Systemen vorstellt. 1650 bot sich die günstige Gelegenheit, gewissermaßen als Fortsetzung der Tabulatura nova, ein weiteres Druckwerk vorzulegen, nämlich das Tabulatur-Buch (Görlitzer Tabulaturbuch), welches gemäß der Widmung hundert vierstimmige Orgelbegleitsätze zu „etliche(n) Teutschen Kirchen=Lieder(n) für die Herren Organisten / mit der Christlichen Gemeinde zu spielen“ enthält.
Tatsächlich ist etwa fünfzig Jahre zuvor in Hamburg ein ähnlicher Druck erschienen, das Melodeyen Gesangbuch von 1604, in welchem namhafte Musiker wie Hieronymus und Jacob Praetorius 89 Kantionalsätze veröffentlicht haben. Der augenfälligste Unterschied zu Scheidts Tabulatur-Buch liegt vor allen Dingen in der Tatsache begründet, dass die Hamburger Edition wohl eher eine vokale Ausführung, Scheidts Werk jedoch primär die Darstellung auf Tasteninstrumenten nahelegt. Hierfür spricht neben anderem auch die Zueignung an „die Herren Organis­ten“. Der eigentlich irreführende Titel Tabulatur-Buch erklärt sich – trotz des in „moderner“ Notation gedruckten Textes – übrigens auch recht sinnfällig aus Scheidts Angaben in seiner Tabulatura nova, wo er sich davon überzeugt zeigt, dass „die Herren Organisten und Music Liebhaber“ die Sätze der Sammlung „leichtlich in die gewöhnliche Tabulatur ab(zu)­setzen“ im Stande seien.
Klaus Beckmann hat die vorliegende verdienstvolle Neuausgabe in bewährter Weise im Rahmen der von ihm betreuten Reihe „Meister der Norddeutschen Orgelschule“ bei Schott als Band 36 (und damit finale Veröffentlichungs-Sequenz) ediert. Neben dem gewohnt hervorragenden Notenbild des Drucks besticht aufs Neue die informative Einführung aus der Feder des Editors in Geschichte und Editionspraxis der vorliegenden Veröffent­lichung sowie das akribisch aufgeführte Quellenverzeichnis. Wir haben damit eine Neu­erscheinung, die sowohl in musikwissenschaftlicher als auch praktischer Hinsicht von hohem Nutzen ist und zugleich das Niveau heutiger Forschung und Editionspraxis dokumentiert.

Christian Brembeck