Reger, Max

Symphonischer Prolog zu einer Tragödie | Phantasie und Fuge d-Moll | Phantasie und Fuge über B-A-C-H

Orgeltranskription von Heinrich Walther (2010)

Verlag/Label: Organum OGM 141031 (2014)
erschienen in: organ 2014/04 , Seite 56

4 von 5 Pfeifen

Heinrich Walther spielt auf dieser 2014 erschienenen Silberscheibe an der Kuhn-Orgel (2009) der Jesuitenkirche Heidelberg, die eine solide, schön grundstimmige Basis hat und trotzdem über zahlreiche höhere, gut zeichnende Register verfügt.

Exkurs I: An Hilfsregistern besitzt die Orgel außer Glockenspiel und Zimbelstern einen Perkeo. Eingeweihte wissen: Perkeo war ein sagenhafter Heidelberger Zwerg, der das „Große Fass“ im Schloss bewachte. Was aber bedeutet er an dieser Orgel?

Man muss Walther bescheinigen, dass er virtuos mit Reger umgehen kann und an vielen Stellen ein atemberaubendes Tempo hinlegt, auch wenn dann mitunter einige gegenteilige, nämlich Adagio- und Adagissimo-Abschnitte zu wenig intensiv erscheinen.

Aber im Einzelnen: Walthers persönliche Agogik bringt mich gelegentlich zum Staunen, gelegentlich zum Grummeln. In der Fantasie (op. 135b) kommt sie gut zum Tragen. Der Nachhall bei Regers dynamischen Purzelbäumen ist gut kompensiert, die Übergänge sind sinnvoll, das Pedal klingt nach sonorer Grundstimme, die romantischen Register des Instruments regen zum Träumen an. Nur im organo pleno scheinen mir die Mixturen zu barock und damit klanglich zu gewaltig, zu spitz.

Die Fuge sollte im vierfachen pppp beginnen, tut es aber nicht. Sie ist gleich offensiv präsent und viel zu direkt. Merkwürdig scheinen mir auch die barocken Dehnungen auf der „Eins“ bei (fast) jedem neuen Themeneinsatz. Das ist nicht nötig, ebenso wenig die Re­gis­teraddition an unverständlichen Stellen. Auch das plötzliche ritardando ab T. 100 lässt keinen Raum mehr für das molto moderato in T. 106, da es längst früher erreicht ist. Aber das alles sind weitgehend subjektive Gesichtspunkte, die Walther natürlich gefallen haben und andere möglicherweise anregen. Der Organist bedient sich der Kürzungen, die Reger vorgeschlagen hat.

Reger schrieb seine kleineren und größeren Orgelwerke bereits in frühen Jahren, während er erst spät (in Relation zu seinem kurzen Leben) große Orchesterwerke verfasste. Eines der ersten dieses Genres ist der Symphonische Prolog. Nein, ich streite hier nicht über Sinn und Unsinn von Transkriptionen. Im Gegensatz zu manchen Kollegen finde ich sie sinnvoll. Nicht nur waren die frühesten Orgelwerke Intavolierungen von Vokalwerken, auch unser aller Erzvater Bach hat munter Werke seiner Zeitgenossen umgeschrieben.

Exkurs II: Mich ärgert es immer, wenn bei Vivaldi-Concerti im Programm als Komponist Bach steht, und dann, meist auch noch kleingedruckt, „nach Vivaldi“. Bei Transkriptionen anderer Komponisten schreibt man auch brav den ursprünglichen Verfasser hin – und den Bearbeiter klein …

Reger selbst hat unglaublich viel umformuliert, meist für ein oder zwei Klaviere – und das von Bach bis Richard Wagner. Ein unter den großen und immerhin gelegentlich in Orchesterkonzerten auftauchendes Werk, die Mozart-Variationen, entstand zunächst für zwei Klaviere. Die einfühlsame Instrumentierung folgte später.

Exkurs III: Leider sind Regers Orchesterwerke wie die Romantische Suite oder die Böcklin-Suite auch unter Organisten viel zu wenig bekannt. Dieses Schicksal teilen sie auch etwa mit dem Violin- oder dem Klavierkonzert. Allesamt sind es brillante Werke, die Reger von einer ganz anderen, teilweise nahezu impressionistischen Seite zeigen und seine „uferlose“ Chromatik weitgehend vermeiden.

Walther hat bereits viele Transkriptionen für Orgel angefertigt. Ob aber der Symphonische Prolog geeignet ist? Ich finde, diese Transkription zeigt den Oberpfälzer Kompo­nis­ten nicht in einem an­deren Licht als bei seinen Orgelwerken, zumal viele Feinheiten der Instrumentationsarchitektur auf der Strecke bleiben (müssen), so etwa die häufig vorkommende Polyrhythmik.

Exkurs IV: Als ich 1979 Regers Mozart-Variationen für Orgel bearbeiten wollte, stieß ich sofort auf das Problem der Umsetzung dieser komplexen Partitur, die von einem allein nicht zu bewältigen ist. Sofort stieg ich in der Bearbeitung auf Orgel vierhändig (und vierfüßig) um; später bas­telte ich eine Fassung für zwei Orgeln; so waren alle relevanten Stimmen vorhanden.

Gleichwohl – Heinrich Walther bereitet es hörbar Freude, nicht nur das gewaltige Werk (zum Glück hat Reger auch hier – schweren Herzens – gekürzt) umgeschrieben zu haben, er spielt es auch mit eindrücklichem Gestus.

Als Letztes vom Dreigestirn der CD kommt Regers B-A-C-H. Auch hier wartet der Organist mit virtuoser Macht auf und befingert das tiefschwarze Notenbild meisterhaft. Ebenfalls hier einige subjektive Anmerkungen: Zäsuren hat Reger etliche vermerkt – muss man sie noch vermehren? Da schießt mir Walther oft übers Ziel hinaus, lässt forte-Nachhallstellen erst ausklingen, um danach weiter zu spielen. Aber auch ohne krasse dynamische Unterschiede brechen klein­­agogische Abgründe auf (z. B. T. 34–37), irgendwie wird die sich aufbauende Dramatik unterbrochen und wirkt kleingliedrig. Die piano-Stellen (mitunter bis pppp) sind in op. 46 zu vordergründig. Dass es anders geht, hat Walther in 135b gezeigt.

Die Fuge sollte quasi aus dem hintersten Winkel des Schwellwerks beginnen, zunächst fast unhörbar. Aber – da ist es, das Thema, sofort präsent wie ein „trompetender“ Politiker. Dafür erscheint in T. 25 plötzlich ein decrescendo und ein agogischer Stau (nanu?) von T. 26 auf 27. Kommt das Thema (T. 42) wieder im Sopran, wird der Hörer nochmals agogisch deutlich darauf verwiesen. Man könnte meinen, Walther bezieht den Charakter einer (der?) Fantasie auch auf die Fuge, so auch sofort wieder in T. 84. Dagegen – in T. 114, wo das erste Thema wieder auftritt, ist sein Empfang sehr belanglos und widerspricht dem bisherigen Duktus. Dann aber gerät Walther in einen Geschwindigkeitstaumel und rauscht ins Finale. Bravo, bravissimo!

Die geschmackvoll gestaltete Hülle (kleiner Schuber) nennt vor allem den Symphonischen Prolog, die beiden anderen, doch auch gewichtigen Werke laufen zunächst ano­nym unter „Orgelwerke“. Erst ein Blick ins Beiheftchen offenbart das Geheimnis. Hier gibt es ausführliche Beschreibungen (deutsch/englisch) der Werke, dazu den Lebenslauf des Künstlers und die Disposition der Orgel (mit Perkeo …).

Klaus Uwe Ludwig